Interaktion und Partizipation als Handlungsprinzip — Ein gemeinsamer Selbstversuch
Perspektiven von Mitgliedern im Forschungscluster „Interaktion und Partizipation in der Kulturellen Bildung" im Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung
Abstract
Wie fängt man es an, sich in einer Gruppe mit den Begriffen “Partizipation” und “Interaktion” in kulturellen Bildungs- und Vermittlungskontexten kritisch auseinander zu setzen? Das Autor*innenkollektiv dieses Artikels, bestehend aus den aktuell aktiven Mitgliedern des 2017 gegründeten Forschungsclusters Interaktion und Partizipation in der Kulturellen Bildung im Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung, dokumentiert nicht nur die eigene, mehrjährige Diskussion über die jeweiligen Verständnisse, sondern darüber hinaus, auf welche Weise der Austausch anhand einer kritischen Selbstbefragung gestaltet wird und welche Formen des Wissens, Forschens und Handelns daraus resultieren. Theoriebasierte Klärungen zum Themenfeld Partizipation werden anhand von Begriffen wie Demokratie, Solidarität, Macht, Relationalität, Kollaboration, Komplizenschaft oder (Post-)Digitalität diskutiert sowie anhand subjektiver Erfahrungen im Kollektiv reflektiert.
Part 1 Ausgangslage
Zu Beginn eines Beitrags, der die Begriffe „Interaktion“ und „Partizipation“ im Titel trägt, werden Definitionen dessen erwartet, was anschließend damit bezeichnet und verhandelt werden soll. Ein Blick in die bereits zahlreich erschienenen Publikationen zu diesen Begriffen und die damit verbundenen Themenfelder (vgl. Part 2) zeigt jedoch, dass die durch Diskurse entstehenden Definitionen zum einen sehr disparat sind und zum anderen nicht zwangsläufig jene bedeutsame Rolle spielen, die sie per Gestus suggerieren. Bedeutungsvoll werden Definitionen vielmehr, weil sie einen gemeinsamen Diskursrahmen eröffnen, der – bedingt durch gesellschaftliche, historische, kontextuelle, situative u.ä. Bedingungen – im Anschluss immer weiter, neu und anders verhandelt werden kann. Statt also weitere, eigene wie kongruente Definitionen zu „Interaktion“ und „Partizipation“ vorzulegen, soll im Folgenden der kollektive Versuch unternommen werden, unseren Diskurs über zwei für die Kulturelle Bildung zentrale Begrifflichkeiten sichtbar zu machen und für Reaktionen und neue Fragen zu öffnen. Damit soll gerade kein weiterer fester, einheitlicher und vielleicht sogar eingrenzender Definitionsversuch unternommen werden, sondern vielmehr ein collageartiger Text entstehen, der unterschiedliche Stimmen, Perspektiven und Wissensformen abbildet und einen Diskursrahmen eröffnet.
Strategien und Ressourcen
Wie aber fängt man es an, sich in einer Gruppe mit den Begriffen „Partizipation” und „Interaktion” in kulturellen Bildungs- und Vermittlungskontexten (selbst)kritisch auseinander zu setzen? In unserer Clusterarbeit (vgl. Abschnitt Collage) begannen wir mit der Diskussion vorhandender theoretischer Begriffsklärungen. Im Austausch über unsere gemeinsamen und individuellen Verständnisse der beiden Begriffe wurde uns bewusst, dass wir über die Auseinandersetzung mit dem wissenschaftlichen Diskurs hinaus über eine weitere wertvolle Ressource verfügen: Indem wir uns nicht nur über unsere jeweiligen Verständnisse austauschen, sondern mit in den Blick nehmen, auf welche Weise wir dies gemeinsam tun, wie wir unseren Austausch gestalten und was er mit uns und den uns umtreibenden Begriffen macht.
Um unsere in theoretischen Diskursen fundierten Verständnisse an unserer eigenen Praxis des interaktiven und partizipativen Forschens im Cluster zu reiben, setzen wir in diesem Text theoriebasierte Klärungen der Begriffsfelder Partizipation und Interaktion mit Einblicken in die Arbeitsweise im Cluster und subjektive Reflexionen darüber nebeneinander und bringen sie in neue Zusammenhänge. Dem Prinzip der Collage folgend, bleiben diese unterschiedlichen Elemente teilweise noch unverbunden. Es gilt zu prüfen, wo sich in der Zusammenstellung spannungsvolle oder erkenntnisreiche Verbindungen ergeben. Oder aber, wo sich Theorie oder Praxis auf welche Weise verändert, wo Elemente ergänzt oder entfernt werden müssen, um durch die Begegnung vielfältiger, disparater Wissensformen erst einen Prozess der Verhandlung entstehen zu lassen.
Selbstverständnisse und Erwartungen
Die Grundannahme, dass Interaktion und Partizipation eine entscheidende Rolle im Feld der Kulturellen Bildung einnehmen, ist nicht nur die gemeinsame inhaltliche Schnittmenge aller Autor*innen dieses Textes, sondern prägt auf unterschiedliche Art die Arbeits- und Umgangsweisen im Cluster selbst. In der gemeinsamen Arbeit werden nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse im Feld der Kulturellen Bildung zusammengetragen und erörtert. Praxiserfahrungen aus dem Feld der Kulturellen Bildung, theoretische sowie methodische Einblicke in die jeweiligen Prozesse und Projekte der Clustermitglieder bilden die Gesprächsgrundlage und eröffnen diskursive Räume, die den Austausch vertiefen und perspektivieren. Unsere partizipativen Praktiken für die Zusammenarbeit stellen Anlässe dar, sich selbst sowie das eigene Handeln zu reflektieren (vgl. Fuchs 2017:43 ff.) und Herausforderungen wie Problemstellungen, die in der Forschung und Praxis kultureller Bildungsarbeit auftauchen, entkoppelt von gewohnten institutionellen Rahmungen, anders zu verhandeln und kritisch zu diskutieren.
HACK: Sich selbst in seiner Arbeit darzustellen, sich dabei immer wieder selbst zu befragen, von anderen befragt zu werden oder durch Antworten (mit darin enthaltenden Nachfragen) scheinbar Selbstverständliches aufzubrechen, ist nicht einfach. Und nicht bequem. Es steht immer etwas auf dem Spiel. Etwas, das mit uns selbst zu tun hat. Lässt man sich darauf ein, macht man sich angreifbar, riskiert etwas und bricht Routinen auf. Im besten Fall wird man sensibel und kritisch für das Thema und entwickelt sich weiter. (Als HACKs sind im Folgenden Gedanken oder Kommentare einzelner Autor*innen quer zum Fließtext kenntlich gemacht. Diese und weitere Textsorten wie Aussagen von Clustermitgliedern oder „Zitate vom Pappteller“ von Teilnehmer*innen der interaktiven Settings des Clusters dienen dazu, die Vielstimmigkeit in diesem Beitrag auch für die Leser*innen sichtbar zu machen.)
Im Forschungscluster stehen kollektive Wissensproduktion und Erfahrungsaustausch im Vordergrund. Der vorliegende Text dokumentiert entsprechend als ein Experiment, wie wir über „Interaktion und Partizipation in der Kulturellen Bildung” forschen und wie wir interaktive und partizipative Formen des Handelns und Forschens erfahren und reflektieren. So wie die Verfasser*innen dieses Textes aus unterschiedlichen Kontexten und Arbeitszusammenhängen von Hochschule und kulturellen Bildungsorten kommen, verstehen wir Forschung dabei nicht als begrenzt auf Wissenschaft in hochschulischen Rahmungen. Vielmehr sehen wir Forschung immer in unterschiedlichen Institutionen, Situationen und Praktiken sowie von unterschiedlichen Personen realisiert.
Text als Collage
„Die Herstellung einer Collage, die Auseinandersetzung mit Collagen ist so etwas wie In-den-Spiegel-sehen, ist Reflexion der vorhandenen Collagen. Ist Auseinandersetzung mit Uneinheitlichkeit, mit der möglichen Zusammengehörigkeit von Fragmenten.“ (Pazzini 1986:22)
Wir – das sind die aktuell aktiven Mitglieder des 2017 gegründeten Forschungsclusters Interaktion und Partizipation in der Kulturellen Bildung im Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung (vgl. vertiefend Part 3) – orientieren uns in der Genese und Darstellung dieses Textes am Prinzip der Collage, weil die Collage unserem Arbeitsverständnis nahekommt, in dem es nicht nur um das „Abarbeiten” an wissenschaftlich verbürgten Begriffen und Konzepten geht, sondern um Perspektivwechsel. In der Kunst lebt das Prinzip der Collage von der Kombination ausgewählter Einzelteile, die aus unterschiedlichen Kontexten und Entstehungsgeschichten als Fragmente herausgelöst und durch das Zusammenfügen zu einem neuen Ganzen transformiert werden. Während die Herkünfte und Ursprünge der Bestandteile mitunter noch zu erahnen sind, ist die Neukombination wiederum etwas so noch nie Dagewesenes. Im Nebeneinander entstehen Spannungen und Bezüge. Die Überschneidungen der Teile können fließend, illusionistisch oder deutlich gebrochen sein (Pazzini 1986). Als textgenerierender Prozess wird Collage als Sammeln und Neukombinieren dann spannungsvoll und produktiv, wenn sie sich aus disparaten Teilen zusammensetzt, den Durchblick negiert und durch Verdichtung zu etwas anderem werden kann.
Der Text unternimmt dementsprechend den Versuch, Handlungs- und Denkprozesse des unterschiedlichen Forschens aufzuzeigen. Durch verschiedene, teils unterschiedlich gekennzeichnete Textpassagen soll das Prinzip der Partizipation bei der Textgenese als Collage sichtbar gemacht werden. Der Text spiegelt die Vorgehensweise, indem der Fließtext immer wieder durch andere Textsorten ergänzt oder unterbrochen wird. So finden sich klassische Literaturzitate neben HACKs, die aktuelle (2020/21) Gedanken oder Kommentare einzelner Autor*innen quer zum Fließtext darstellen, sowie „Zitate vom Pappteller“, die von Teilnehmer*innen in einem interaktiven Setting des Clusters während der 8. Tagung des Netzwerkes Forschung Kulturelle Bildung (2017) entstanden, oder Aussagen von Clustermitgliedern, die in einer schriftlichen Selbstbefragung (2019) entstanden. All diese Textsorten dienen dazu, die Vielstimmigkeit in diesem Beitrag auch für die Leser*innen sichtbar zu machen.
Inhaltlich erhoffen wir uns dadurch einerseits, einen anderen Zugang zu dem in den letzten Jahren stark beanspruchten Containerbegriff der „Partizipation” zu ermöglichen, und andererseits zum Nachdenken über die Frage, wer wie mit wem und wozu forscht, anzuregen – um damit wiederum neue Perspektiven für die Forschung in der Kulturellen Bildung zu eröffnen. Nicht zuletzt geht es uns auch um die Freude an einer kritischen Selbstbefragung, die durch unsere gemeinsame, im Modus des Themas erfahrbar werdende Reflexion, Vernetzung, Verbindung und Suche entsteht.
„Keine andere Tagung, Fortbildung, Format ist für mich derart getragen von solch einer fairen Offenheit, mit Respekt und Akzeptanz der Unterschiedlichkeit der Blickwinkel und Positionen im Feld. So empfinde ich das Cluster bereits als Denkraum konkreter Interaktion und Partizipation. Vielleicht sind wir ja selbst unser eigenes Forschungsfeld, das aus sich selbst heraus die zentralen Forschungsfragen eruiert? Könnte eine künstlerische Praxis dabei hilfreich sein?” (Aussage Clustermitglied 2019)
Part 2 Partizipation: Auslegungssache
„Der Begriff Partizipation ist polyvalent, er übergreift mehrere z. T. inkompatible semantische Felder und ist in seiner Mehrdeutigkeit kaum begrenzbar.” (Ahrens/Wimmer 2012:21)
Kaum ein Begriff wird seit vielen Jahren so häufig verwendet, spielt in den unterschiedlichsten Kontexten und Diskursen – so auch im Bereich der Kulturellen Bildung – eine vergleichbar zentrale Rolle (vgl. Braun/Witt 2017). Dabei sind mit „Partizipation“ immer wieder bestimmte wie unbestimmte Hoffnungen, Erwartungen und Versprechen verbunden. Oft sind die konkreten Bemühungen, die unter diesem Buzzword verhandelt werden, gut gemeint – nicht selten entstehen Missverständnisse, Paradoxien, Probleme. So macht Eva Sturm beispielsweise mit dem Begriff der „Partizipatienten“ aufmerksam auf Menschen, „die sich plötzlich als KooperationspartnerInnen auserkoren sahen“ (Rollig/Sturm 2002:15), adressiert „als ‚Communities‘ oder als ‚Zielgruppen‘“ (ebd.:15), und auf eine nur vordergründig partizipative Praxis, die kritisch in den Blick zu nehmen ist. Faktoren wie Freiwilligkeit, Informiertheit, Entscheidungsprozesse sind zu bedenken.
HACK: Ich will die Leser*innen und uns selbst dafür sensibilisieren, wie groß die Gefahr ist, sich von wissenschaftlichen Begriffen verführen zu lassen, um sich mit ihnen sicher zu fühlen, sich hinter ihnen zu verstecken oder sich mit ihnen zu munitionieren.
Das Bewusstsein für die inflationäre (Ab-)Nutzung des Begriffs „Partizipation“ schürt das Bedürfnis und den Bedarf, differenziert und konkret vorzugehen, den Begriff immer wieder mit Inhalt und Anspruch zu füllen, und gerade angesichts positiver Konnotationen eine kritische Perspektive darauf zu bewahren.
„Ist Partizipation eine Form des Greenwashing für postkoloniale Strukturen?“ (Zitat vom Pappteller)
Um zu erkennen, was sich hinter dem Versprechen „Partizipation“ verbirgt, gilt es immer wieder kontextabhängig zu fragen, was hinter dem Sinn seiner Verwendung steckt, welche Kontinuitäten und/oder Brüche damit verbunden sind, wer aus welchem Grund (nicht) partizipieren kann, will oder soll.
„Was, wenn ich nicht interagieren will?“ (Zitat vom Pappteller)
Dieser Part 2 des Textes will und kann diese Probleme, Brüche und Diskurse nicht auflösen, sondern eröffnet vielmehr durch eine Diskursübersicht den thematischen Rahmen für unseren Collage-Text. Ausgehend von kurzen Absätzen sollen die Verwendungen, Instrumentalisierungen und Bedeutungsperspektiven des Begriffs Partizipation als „Schnipsel“ unserer Collage sichtbar werden. Dabei werden anhand einzelner Aspekte, die wir im Zusammenhang mit aktuellen Diskursen erörtert haben, Perspektiven auf Partizipation aufgezeigt, wobei diese Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: Demokratie, Kulturelle Bildung, Solidarität, Macht, Relationalität, Kollaboration, Komplizenschaft sowie (Post-)Digitalität. Eine Kontrastierung erhalten diese Theorieauslegungen durch persönliche Statements und Ergebnisse aus der eigenen wie gemeinsamen Arbeit mit unterschiedlichsten Personen im Rahmen unserer Clusterworkshops auf den Tagungen des Netzwerks Forschung Kulturelle Bildung. Auf diese Weise zeigen wir verschiedene Perspektiven und Blicke auf Partizipation, aber auch Unstimmigkeiten und Brüche des Diskurses auf.
Perspektive Demokratie
In einer ersten, allgemeinen Bedeutung soll auf Partizipation als demokratisches Prinzip verwiesen werden (vgl. Taube 2017). Aus demokratietheoretischer Perspektive wird Partizipation als ein Grundprinzip demokratischer Zivilgesellschaften zur Verringerung sozialer Ungleichheit definiert (vgl. Ahrens/Wimmer 2012:25). Dies bedeutet in Bezug auf Kultur im Allgemeinen und die Künste im Besonderen nichts anderes als das Recht eines jeden Einzelnen zur Teilnahme und Teilhabe am kulturellen Leben einer Gesellschaft. Fest verankert ist dies in der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.” (Resolution 217 A (III) der Generalversammlung/ Artikel 27). Offen bleibt bei dieser Vision allerdings, an welcher Kultur und welcher Gesellschaft wer, wie partizipieren kann, soll oder darf.
Nimmt man diesen Beschluss zudem in seiner Grundaussage ernst und blickt auf die Handlungsoptionen sowie Möglichkeiten, die jeder einzelnen Person im Kontext von Kunst und Kultur zugesprochen werden – freie Teilnahme, Freude und Teilhabe – kommt bei der Einhaltung, Ermöglichung und Verwirklichung nicht nur eine große Verantwortung auf Kulturinstitutionen, auf die Künste und ihre Akteur*innen zu. Partizipative Praktiken fordern vielmehr geradewegs dazu auf, verhandelt, reflektiert und kritisch hinterfragt zu werden. Bedeutsam ist auch die Frage: Wer ist nicht da, wer nimmt nicht teil? Auch dieser Frage wollen wir uns als Cluster und Verfasser*innen dieses Textes stellen.
Perspektive Kulturelle Bildung
„Partizipation, die nicht bloß leeres Schlagwort und Entleerung der Demokratie ist, braucht auch Lust und viel Zeit, Gewohntes und Gelerntes aufzubrechen. Dafür gilt es, gemeinsame Handlungsräume zu schaffen, in denen es überhaupt erst möglich wird, dass alle Beteiligten sich auf Neues einlassen, offen für Unvorhergesehenes sind, Kritik zulassen und unterschiedliches Wissen anerkennen. Wir müssen uns eingestehen, dass es uns nicht leicht fällt, Definitionsmacht und Ressourcen zu teilen und Situationen zu schaffen, in denen es gelingt.
Partizipation ist demnach das unabschließbare Experimentieren von Strategien und Methoden der Einbindung, Beteiligung, Mitbestimmung und -gestaltung von AkteurInnen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen und beruflichen Zusammenhängen mit dem Ziel, institutionelle Machtverhältnisse und deren Bedingungen der Wissensproduktion zu transformieren.“ (Büro trafo.K 2020:128)
Ein Bestreben nach Partizipation in der Kulturellen Bildung wird seit den 1970er verstärkt thematisiert und (öffentlich) artikuliert. Zahlreiche kulturpädagogische Projekte verstanden sich als eine gesellschaftliche Bewegung mit der politischen Forderung nach einer Kultur für alle! (Hoffmann 1981). Zugleich gab es soziokulturelle Bewegungen, die die Grundlage einer neuen Kulturpolitik „von unten“ forderten und praktizierten. Hierbei formten sich Werte wie Partizipation, kreatives Gestalten, demokratische Mitbestimmung und ein breites politisches Engagement für eigene künstlerische und kulturelle Prozesse, dessen Erbe auch heute noch in der Kulturellen Bildung sehr präsent ist (Kuschel/Reinwand-Weiss 2016:15 f.). Im Sinne einer Kultur von allen (Zirfas 2018) wurde die Autonomie kultureller Eigentätigkeit in den Mittelpunkt gerückt. Aspekte wie Mitbestimmung und Chancengleichheit wurden im Rahmen der soziokulturellen Debatte in die Kulturpolitik eingebracht, und es wurde für eine kulturelle Praxis plädiert, die konkrete Interessen der Beteiligten bzw. aller miteinbezieht (vgl. Zirfas 2015).
Aktuelle Partizipationsverständnisse haben diese Aspekte dahingehend wesentlich weiterentwickelt, dass der reine Einbezug im Sinne eines „Mitspielen-Dürfens“ nicht länger als ausreichendes Kriterium für Partizipation in der Kulturellen Bildung erachtet wird. Vielmehr geht es nun um das Verhandeln der Spielregeln selbst mit einem demokratischen Verständnis von kollektiver Zusammenarbeit unterschiedlichster Akteur*innen (vgl. Sternfeld 2018). Das Versprechen Kultur mit allen (Almanritter/Siebenhaar 2010) wirklich umzusetzen erfordert eine reflektierte Haltung und hohes Engagement von allen Beteiligten.
„Im Cluster spüre ich die Energie und Dynamik von Menschen, die komplizenhaft in einer gemeinsamen Sache, einem gemeinsamen Interesse verbunden sind.” (Kommentar Clustermitglied, 2018)
„Partizipation ist so was von nervig!“ (Zitat vom Pappteller)
Als notwendige Voraussetzung für eine partizipative Praxis Kultureller Bildung wird heute oft ein offen strukturierter Prozess erachtet. So wird beispielsweise das Ziel verfolgt, Partizipierende dazu zu befähigen, komplexe Inhalte zu begreifen, einen eigenen Standpunkt zu formulieren sowie aktiv mitzugestalten (Braun/Schorn 2016:116).
HACK: "befähigen" – wer macht das bzw. wer kann das? Was heißt das: mit Fähigkeiten ausstatten, mit Verantwortung, mit Möglichkeiten? Jemanden beschenken, auffordern, ermutigen? Hat das mit Empowerment und Emanzipation zu tun? Geht es darum, das zu begreifen, was (vor)gegeben wird oder darum, selbst zu denken? Was passiert mit den Gedanken und Inhalten, die mit- und eingebracht werden? Der eigene Standpunkt kann auch sein, lieber gehen, nicht teilnehmen zu wollen (zum Widerstand gegen Teilnahme – als Scheitern oder Selbstbestimmung) (vgl.Chrusciel 2017).
Mitbestimmung und -gestaltung gelten dabei aus machtkritischer Perspektive als grundlegende Handlungsprinzipien, welche „die Entwicklung von Partizipationsfähigkeit aktiv unterstütz[en]. In allen Dimensionen kultureller Bildungsprojekte, von der Planung über den Verlauf bis zur Präsentation sind die Teilnehmenden beteiligt, und auch der Vermittlungsprozess sollte maßgeblich durch Strategien und Methoden der Einbindung und Verhandlung aller gestaltet werden. Zugrunde liegt eine dialogische Haltung, die die Expertenschaft der Subjekte für ihr eigenes Leben, für ihre Weltsicht, ihre Empfindungen anerkennt und ernst nimmt.“ (Braun/Schorn 2016:117)
Perspektive Solidarität, Anerkennung und Wertschätzung
„Wir wollen nicht nur teilnehmen, sondern auch (einen) Teil haben!“ (Zitat vom Pappteller)
Teil-nahme, Teil-habe und Teil-sein, dies alles verweist auf ein Ganzes und wirft die Frage auf, was dieses Ganze denn ist. Wo endet und beginnt es? Wenn Menschen an Kunst und Kultur teilhaben bzw. an kulturellen Bildungsangeboten partizipieren oder kulturelle Bildungsorte aufsuchen, welchen Teil des Ganzen nehmen sie (ein)? Diese Frage führt in eine analytische wie auch diskursive Problematik: Denn lässt es sich klassisch ontologisch klären, was die Kultur, die Künste oder die Kulturelle Bildung überhaupt sind? Diese Problematik lässt sich exemplarisch am kulturellen Bildungsraum Museum aufzeigen: Als historisch-kulturelles Konstrukt sind Museen keine festen Gegebenheiten, sondern menschengemacht und spiegeln daher deren normative Orientierungen. Museen werden „von Menschen gegründet und geführt, die darüber entscheiden, was gesammelt, welche Inhalte präsentiert und wie diese vermittelt werden“ (Tietmeyer 2020:45). Was ein Museum ist und sein sollte, ist einer steten Diskussion unterworfen – wie die Museumsgeschichte zeigt und es beispielsweise aktuell rund um die Reformulierung der ICOM-Museumsdefinition deutlich wird (vgl. Roßkopf 2020). Es ist also kaum denkbar, dass das Ganze, an dem man im besten Fall teilhaben kann, überhaupt bestimmbar ist, weder das Museum noch die Kultur.
HACK: Inwiefern ist uns bei diesen Überlegungen die strukturell bedingte und kritisch zu betrachtende Verteilung von Deutungshoheiten bewusst – und das Bewusstsein hilfreich und Wegweiser? Wo und von wem werden Konzepte von Kultur, Kultureller Bildung und Museum (sichtbar) verhandelt?
Doch vielleicht lässt es sich mereologisch betrachten und die Frage nach dem Verhältnis zwischen Teil und Ganzem stellen: Wie verhält sich das Ganze zu seinen Teilen, bzw. wie verhalten sich die Teile zu dem Ganzen? Wie verhalten sich Kunst und Kultur zu den Menschen? Wie verhalten sich die Teilnehmenden und Teilhabenden zum Ganzen? Sind beispielsweise Rädchen im Getriebe oder lebendige Elemente eines Organismus? Beides sind ganz andere Formen des Teil-Seins und Teil-Habens. Blickt man wiederum exemplarisch auf die Kulturinstitution Museum, wird deutlich, dass dieses Verhältnis kaum bestimmbar ist: Welchen Part nehmen diejenigen ein, die am Museum partizipieren? Wann sprechen wir von Besucher*innen, wann von Teilnehmer*innen, von Nutzer*innen, Stakeholdern, Akteur*innen? Inwiefern sind sogar Nichtbesucher*innen letztlich am Museum beteiligt?
Partizipation als Teilhabe an einem Ganzen und Teil-sein einer Gruppe erzeugt zudem komplexe Abhängigkeiten. Auch Anja Piontek spricht den Dualismus von Rechten und Pflichten im Partizipieren an, in dessen Spannungsfeld sich die Partizipierenden wiederum in ihren Doppelrollen als Individuum und Teile der Gemeinschaft bewegen (vgl. Piontek 2017:77).
Schließlich stellt sich noch die Frage nach Teilhabe in Hinblick auf die Handlungsfähigkeit und -befähigung. Nicht jede Mitbestimmung ist gleich Teilhabe. Vielmehr ist das individuelle Handlungsvermögen unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu beachten – gerade in kulturellen Bildungskontexten. Sofern jemand aufgrund eines Machtgefälles bzw. eines Gefälles von Handlungsvermögen (in einem spezifischen Handlungsraum) sich nicht ausreichend einbringen kann, braucht es Solidarität. Dieser Begriff aus der Tradition des Christentums einerseits und der Arbeiterbewegung andererseits hat einen ethisch-politischen Zug (weiterführend: Bayertz 1998, Große-Kracht/Spieß 2008). In der Pädagogik erhob ihn Wolfgang Klafki in den 1980er Jahren zu einem von drei Bestimmungen der Bildung: Befähigung zur Selbstbestimmung, zur Mitbestimmung und zur Solidarität (vgl. Klafki 1985). Meiner Selbstbestimmung nachzugehen und mitzubestimmen, heißt in gemeinsam-partizipativen Prozessen immer auch, durch die Möglichkeit der Selbstbestimmung der jeweils anderen begrenzt zu sein (vgl. Taube 2017:11f.). Der Anspruch auf Partizipation im Sinne von Selbst- und Mitbestimmung ist daher nur dann zu rechtfertigen, wenn der Versuch unternommen wird, für die Rechte jener einzutreten, welche über diese Rechte nicht verfügen, also sich mit ihnen solidarisch zu erklären. Gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung können zudem zentrale Elemente sein, um partizipative Prozesse zu unterstützen und handlungsfähig zu werden. Doch nicht immer ist es leicht, anderen (mehr) Freiraum, Autonomie und Autorität einzuräumen oder gar Deutungshoheit abzugeben. Nicht nur ein kritisches Thema, sondern vor allem eine kritische Praxis (vgl. oben)!
„Handlungsvermögen ist (…) an ein responsives Verhältnis zwischen Handlungssubjekt und Handlungsraum gebunden, in dem das Handlungssubjekt in seinen spezifischen, nur im Rahmen seiner besonderen Geschichte und Biographie verstehbaren Dispositionen und Fähigkeiten angesprochen und zur Geltung gebracht wird.” (Mecheril 2019:307).
Menschen können also nur dann aktiv werden, handeln und partizipieren, wenn die Rahmenbedingungen „stimmen“ – und zwar in dem Sinne, dass sie die jeweilig, konkret Partizipierenden berücksichtigen. Es reicht nicht, „offen“ zu sein, sondern es braucht die Anerkennung der anderen und eine Wertschätzung für andere, damit Teilhabe überhaupt realisierbar wird. Dass dies nicht ohne weiteres möglich ist, betont Paul Mecheril sogleich, denn jede*r andere ist grundlegend anders und im Prinzip nicht verstehbar (vgl. Mecheril 2019:307). Insofern sind die Anerkennung von jemandem und die Solidarität mit ihr/ihm/* dauerhafte Herausforderungen, denen sich alle Beteiligten gerade in partizipativen Projekten und Prozessen dezidiert stellen müssen.
„Professionelle Reflexion ist kein Feelgoodprogramm!“ (Aussage Clustermitglied)
Perspektive Macht, Privileg und Verantwortung
„NIEMALS – nicht in meinen Räumen!”
(Antwort eines Museumsdirektors gegenüber einem Clustermitglied auf den Vorschlag, eine interaktive Mini-Spiel-Station zur frühkindlichen Kulturellen Bildung – finanziert durch eine namhafte Stiftung – in seiner Institution zu platzieren)
Partizipation soll im folgenden Abschnitt als ein Begriff – oder etwas provokanter formuliert als Label – analysiert werden, der bzw. das seit einiger Zeit von Kultur- oder Bildungseinrichtungen, Stiftungen, Verbänden, Presse usw. auffallend häufig verwendet wird, bei näherer Betrachtung jedoch fragwürdig erscheint. Susanne Bücken, Johanna Meiers und Marion Gerards zeigen dies in ihrer Diskursanalyse auf und nennen als Beispiel folgende Formulierung aus einem Förderantrag: „Kinder mit Migrationshintergrund (und insbesondere Flüchtlingskinder) haben oftmals keinen literarischen Hintergrund, d.h. sie kommen im Elternhaus nicht in Kontakt mit Büchern und Schrift.“ (Bücken/Meiers/Gerards 2019:7). Beispiele, bei denen unter der Parole „Partizipation” genau das Gegenteil bewirkt wird, nämlich eine Alienation, eine Ausgrenzung als „Andere”, finden sich zuhauf und sind mittlerweile gut dokumentiert und untersucht (vgl. u.a. Mörsch 2015, Schmidt-Wetzel 2020). Re-produktionen und Re-präsentationen bewirken entsprechende Festschreibungen. Wenn von Partizipation die Rede ist, ist also eine kritische Haltung gegenüber Hegemonien notwendig. Stets ist zu fragen, wer von wem ein- oder ausgeschlossen wird, wo und wie strukturelle Diskriminierungen am Werk sind, wer aus welcher Position spricht und über wen. Dabei geht es nicht nur um Kritik an einzelnen Akteur*innen, sondern vor allem um Kritik an Institutionen, Strukturen, Denkweisen, kulturellen und sozialen Praktiken.
So bleiben immer wieder Fragen offen, wie sie beispielsweise auch von Romi Domkowsky gestellt werden: „Geht es um Selbstverwirklichung oder Gruppenverwirklichung? [...] Was gebe ich? Was nehme ich? – Was sind eigentlich Tauschwerte in partizipativen Projekten und Prozessen? [...] Ist bei Partizipation herauszufinden, was die anderen wollen?“ (Domkowsky 2016:84 ff.) Diese Fragen werden viel zu selten in partizipativen Projekten gestellt, so dass allzu oft eine unreflektierte „Pseudo-Partizipation“ Realität ist, die zwischen affirmativen und reproduktiven Verständnissen variiert, in denen beispielsweise bereits das Betrachten von Ausstellungen als Partizipation definiert wird. Dekonstruktive und in der Folge transformative Prozesse als Konsequenz von Teilhabe-Konstruktionen sind leider nur seltene Ausnahmen (vgl. Mörsch 2009:9 ff.)
Partizipationskonzepte müssen also immer wieder in dieser Hinsicht sowohl aus den verschiedenen Perspektiven aller beteiligten Akteur*innen als auch in ihrer historischen Entwicklung systematisch und gründlich (selbst)kritisch befragt werden (vgl. Gritschke/Ziese 2016). Insbesondere wenn partizipative Bildungsprozesse im Rahmen von Kulturinstitutionen initiiert werden, in denen die hierarchische Unterscheidung zwischen kuratorischer Arbeit und kultureller Vermittlungsarbeit nach wie vor zur gängigen Praxis gehört (vgl. Jaschke/Sternfeld 2012), ist es notwendig zu reflektieren, inwiefern dieses Spannungsverhältnis in den Selbstverständnissen der Beteiligten und in den von ihnen entwickelten Partizipationskonzepten tatsächlich berücksichtigt wird bzw. inwiefern hier historisch begründete Konventionen bewusst oder unbewusst Einfluss nehmen und fortgeführt werden. Eine geeignete Ausgangslage hierfür entsteht erst dann, wenn Partizipation grundsätzlich als eine kritische Praxis verstanden wird. Dies bedeutet, partizipativen Projekten nicht automatisch den Charakter einer gleichberechtigten kollaborativen Praxis zuzuschreiben, sondern auf die in Projekten bestehenden Machtgefälle – im Sinne eines dekonstruktiven Diskurses (vgl. Mörsch 2009) – zu fokussieren und genau diese zu bearbeiten. Es geht also um eine selbstreflexive Form der Partizipation (vgl. Huber/Zobl o.J.), in der Möglichkeiten der Transformation im Sinne eines sozialen und politischen Wandels für die an den Projekten Beteiligten erfahrbar und erlebbar werden (vgl. Sternfeld 2012:121).
Das „revolutionäre Potential der Partizipation“ (Gesser/Handschin/Jannelli/Lichtensteiger 2012:10) darf besonders im Kontext von gesellschaftlicher Verantwortung von Kunst- und Kulturinstitutionen nicht auf Basis verdeckter oder bisher unerkannter Machtstrukturen als „naives Mitbestimmungsparadigma“ missbraucht werden. Damit dies nicht geschieht, könnten Kulturinstitutionen versuchen, so Maren Ziese, „Partizipation im Sinne einer Haltung zu verstehen; mit einem Bewusstsein für ihr Privileg, relevante gesellschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen; mit einer „Teilhabe, die Interventionen ermöglicht, statt die dominanten Erzählweisen zu reproduzieren und Beteiligung zu simulieren“ (Ziese 2010:77).
Perspektive Relationalität
Relationalität rückt „die Bedeutung der Anderen und des zwischenmenschlichen Geschehens“ (Künkler 2011:253) grundsätzlich ins Bewusstsein und kann damit als ein übergeordneter, eng mit Partizipation verbundener Begriff aufgefasst werden. Für den Bereich der Bildenden Kunst arbeitet Nicolás Bourriaud unter dem Begriff der Relationalen Ästhetik die verschiedenen Beziehungen und Verflechtungen zwischen Kunstschaffenden, Kunstrezipierenden und Kunstwerken als ein wesentliches Merkmal zeitgenössischer Kunst heraus. Er stellt damit individualistische und subjektorientierte Theorien in Frage und liefert Begründungen dafür, dass Relationalität als konstitutiv für die künstlerische und kulturelle Praxis betrachtet werden muss (vgl. Bourriaud 2002).
In ihrem „Manifest für Gefährten” beschreibt Donna Haraway (2016) ausführlich die Beziehung zu ihrem Hund, um exemplarisch zu veranschaulichen, wie wir auf vielerlei Ebenen mit anderen und anderem verbunden sind, uns geradezu gegenseitig bedingen: „Wir erfinden einander leibhaftig, wir machen einander aus. Auf signifikante Weise andersartig, in spezifischer Differenz, stehen wir leibhaftig für eine haarige Infektion in unserer Entwicklungsgeschichte namens Liebe” (Haraway 2016:8). Geprägt durch Biologie, Phänomenologie, Feminismus und Wissenschaftstheorie denkt sie in Konzepten wie „Koevolution” und „kokonstitutiven Beziehungen” (ebd.:18). Sie verwirft eine Ontologie klar unterscheidbarer Entitäten und plädiert stattdessen für ein Verständnis von Beziehung als kleinstmöglicher Analyseeinheit in der Wissenschaft. Demnach wäre z.B. die Frage nach Eigenschaften typischer Teilnehmer*innen von Museumsführungen weniger sinnvoll als die Frage nach deren Beziehungen oder Handlungen untereinander (vgl. Hofmann 2016b). Und Haraway geht einen Schritt weiter: Diese Beziehungen können zwischen Lebewesen bestehen, aber auch z.B. zur Landschaft (sie verweist auf den Künstler Andy Goldsworthy) oder zur Technik (in diesem Sinne sieht sie uns als Cyborgs) (vgl. Haraway 2016).
Die Frage nach Beziehungen und Verhältnissen ist in der institutionellen Kunstvermittlung von Bedeutung, da neben den Beziehungen zwischen Besucher*innen und Vermittler*innen auch die „Beziehungen“ zum Werk und seinem Narrativ, zur Institution Museum, zu den Aufsichten, zu Raum, Architektur und Ort relevant sind. Der Blick auf dieses komplexe Beziehungsgefüge kann Anlass für die Museumsvermittlung sein, diese Haltungen, Beziehungen und Handlungen zu verändern, wie es z.B. in der kritischen Kunstvermittlung praktiziert wird.
Es ließe sich auf Basis dieser vielfältigen Relationen, in die alle beteiligten Akteur*innen gleichermaßen eingebunden sind, Verantwortung für die Aufgabe übernehmen, ein „Zusammen-Spiel“ zu ermöglichen (vgl. Hofmann 2015: 253 ff.), bestehende Verhältnisse infrage zu stellen und neue zu imaginieren, zu entwickeln, zu praktizieren oder einzufordern (vgl. Güleç/Herring/Kolb/Sternfeld/Stolba 2020). Dabei ginge es darum, zu verstehen, dass in postdigitalen Gesellschaften viele Logiken wirken, die es als konstitutive Ambivalenzen anzuerkennen gilt.
HACK: In welche (Spannungs-)Verhältnisse begebe ich mich, mit welchen Rechten und Pflichten? Welche Beziehungsgeflechte schaffe oder verhindere ich mit meiner Arbeit bzw. mit meinem Handeln?
Perspektive Kollaboration
Der Begriff der Kollaboration verweist heute auf ein grundsätzliches Verständnis von Zusammenarbeit nicht nur in Relation zu anderen, sondern mit anderen (vgl. Lind 2007, Terkessidis 2015, Ghanbari et al. 2018). Die Fokussierung auf den prozesshaft-handelnden Charakter lässt eine Abgrenzung von Kooperation zu, welche stärker auf die Vorteile verweist, die für die einzelnen Beteiligten aus einer Zusammenarbeit erwachsen. So ist z. B. ein kollaboratives künstlerisches Handeln weit weniger auf Effizienz hin ausgerichtet als etwa eine Kooperation im Bereich der Wirtschaft oder auch im allgemeindidaktischen Konzept des Kooperativen Lernens (vgl. Schmidt-Wetzel 2016a:5): „Die Vorstellung eines Labors, die der Begriff des Kollaborierens impliziert, hilft dabei, dem spezifischen Wesen der Kollaboration [...] näherzukommen: Die Atmosphäre ist – idealerweise – konzentriert, die Arbeitshaltung experimentierend, forschend, der Prozess ergebnisoffen. Gearbeitet wird mal alleine, mal gemeinsam mit anderen in unterschiedlichen Teamstrukturen, je nachdem, welche Themen bearbeitet werden und welche individuellen Kompetenzen, Interessen und Motivation die einzelnen Beteiligten mitbringen.“ (Schmidt-Wetzel 2016b:96)
Im Begriff des Kollaborativen liegt also einerseits das Potential, den Blick verstärkt auf die prozesshaft-produktiven Strukturmerkmale von Zusammenarbeit in der Kulturellen Bildung zu richten. Mit Betonung auf das Ko-Laborieren unterschlägt er andererseits weniger als der Begriff der Partizipation, dass gemeinschaftliche, kulturelle Prozesse erhebliche Anstrengungen und Aushandlungen erfordern, deren Ausgang offen und ein Scheitern immer möglich ist.
HACK: Im Sinne der Collage fühle ich mich in diesem kollaborativen Labor gerade so, dass ich alles zerschneiden will und etwas ganz anderes aus den vielen klugen Worten und wissenschaftlichen Zitationen machen möchte. Ich ringe mit mir und dem Glück, im Cluster sein zu können, aber auch damit, eben NICHT zugehörig zu sein, weil ich eben NICHT Wissenschaftlerin bin. Das wiederum beeinflusst bei aller Reflektiertheit und Kompetenz mein Zugehörigkeitsgefühl - macht mich unsicher und irritiert mich, ob ich auch wirklich zugehörig bin?
„Partizipations-Prozesse machen mich echt fertig!“ (Zitat vom Pappteller)
Perspektive Komplizenschaft
In ähnlicher Weise, wie der Begriff der Kollaboration in einem fortlaufenden „Prozess[es] der Neucodierung“ (Krebber 2020:18) zunehmend seine negative Konnotation der Zusammenarbeit mit dem Feind verloren hat, erfährt auch der Begriff der Komplizenschaft in kulturellen und kulturtheoretischen Diskursfeldern eine positive Umdeutung (vgl. Seitz 2009, Ziemer 2013). So plädiert Gesa Ziemer für eine konstruktive Auslegung von Komplizenschaft, die den Begriff von seinen illegalen Konnotationen im Sinne einer strafrechtlich verfolgbaren Mittäterschaft befreit, um die „affektiven und gleichzeitig kreativen, aber immer temporären gemeinsamen Arbeitspraktiken zu analysieren“ (Ziemer 2013:10). In diesen erkennt die Kulturtheoretikerin eine gegenwärtig relevante spezifische Form und Qualität von Zusammenarbeit. Komplizenschaften sind demnach besondere kollaborative Bündnisse: Auf dem Weg zu einem gemeinsamen Ziel entsteht eine Interessensgemeinschaft auf Zeit, die sich ihre je eigenen Arbeitsstrukturen im Prozess selbst schafft (vgl. Ziemer 2013:11). Die temporär Verbündeten teilen Interessen, Arbeit und auch die Verantwortung. Erfolg oder Misserfolg werden allen gleichermaßen zugeschrieben. Die selbst zu erschaffenden Strukturen bieten eine kreative Alternative zu den bestehenden Verhältnissen und zugleich Schutz für jede*n einzelne*n (vgl. Ziemer 2013:12).
HACK: Für mich ist das Cluster auch ein Schutzraum, den ich brauche, um nachzudenken und zu schreiben.
Ziemer betont dabei die besondere Relevanz der „sinnlichen Ebene von Komplizenschaft“ (Ziemer 2013:13-14), die gerade in ihrem Anfangsstadium als ästhetisches Phänomen zu begreifen sei. Eine Reaktion und eine „temporäre Synchronisation“ (ebd.) der Sinne seien für die Verbindung zwischen den Beteiligten wesentlich: „Dieses physische Zusammenspiel kann bei einer Sitzung im Tagungsraum genauso entscheidend sein wie bei einer Musik-Improvisation auf der Bühne oder einem Banküberfall. Viele von uns kennen die Situation in Meetings oder Jurys, in denen der Moment des wohlwollenden Blickaustausches, der ein Gefühl des Verbündetseins erzeugt, für die Durchsetzung der Interessen wichtiger ist, als gleichzeitig ablaufende offizielle sprachliche Äußerungen.“ (ebd.:13-14)
HACK: Im Jahr 2020 wird viel über eben diesen Blickkontakt und das physische Zusammenspiel nachgedacht – in Ermangelung davon aufgrund der Pandemie. Das Cluster trifft sich nicht mehr an den Arbeitsplätzen der Beteiligten, in den Museen und in Begegnung mit anderen Museumsmitarbeiter*innen, sondern zu Videokonferenzen. Der gemeinsame Schreibprozess im geteilten Dokument geht währenddessen und unter veränderten Bedingungen voran.
Nicht zu verleugnen ist jedoch die der Komplizenschaft innewohnende Gefahr der „Intransparenz“, die an „Vetternwirtschaft, Old-Boys-Networks oder andere intransparente Begünstigungsformen in Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft“ (Ziemer 2013:12) denken lässt.
HACK: Ist der Kreativ-, Kultur- und Bildungsbereich etwa befreit davon? Wie viele Grautöne gibt es in diesem Bereich? Wann ist Intransparenz konstruktiv, wann ist sie destruktiv? Wann ist sie Schutz, wann ist sie Abwehr? Wollen wir als Cluster diesen Aspekt als Anlass der Reflexion nutzen? Wie durchlässig, einladend, einschüchternd sind die Ränder unserer Komplizenschaft? Im aktuellen Schreibprozess, in Schreibklausur, bleiben wir unter uns, verschlossen, bis wir ein (vorläufiges) Ergebnis veröffentlichen und uns damit wieder einem weiteren Austausch öffnen, einer Erweiterung um weitere Interessierte, künftig Verbündete. Wen erreichen wir?
Gesa Krebber nutzt den Begriff der Komplizenschaft beispielsweise dann, wenn intransparent bleibt, wer auf welche Weise am Werk mitgewirkt hat, und nennt als Beispiel eine Ausstellung, bei der die Auflistung der Namen im Programmheft und auf der Internetseite keinen Aufschluss über die Arbeitsteilung und Verbindungen gibt (vgl. Krebber 2015:270). Für die Besucher*innen bzw. Leser*innen entstehe dadurch ein vager Eindruck von „Verbandelungen“ und einer „internen Komplizenschaft“ (ebd.). Das „unscharfe Erscheinen eines Wirs“ lässt die Urheber*innenschaft, die Art der Mitwirkung und Zuordnung im Unklaren (ebd.).
Perspektive (Post-)Digitalität
In seiner Zeitanalyse misst Felix Stalder der Gemeinschaftlichkeit als drittem übergeordnetem Merkmal einer „Kultur der Digitalität“ (Stalder 2017) neben Referenzialität und Algorithmizität einen zentralen Stellenwert bei. Gemeinschaftliche Formationen entstehen nach Stalder in einem Praxisfeld, das durch informellen, aber strukturierten Austausch geprägt, auf die Generierung neuer Wissens- sowie Handlungsmöglichkeiten fokussiert sei und durch die reflexive Interpretation der eigenen Praxis zusammengehalten werde (ebd.:136-137). Die Handlungsfähigkeit einzelner entsteht dabei im Austausch mit anderen. Dieser Austausch ist von der jeweiligen Zeit geprägt: „Was sich historisch verändert, ist, wie Menschen in größere Zusammenhänge eingebunden sind, wie Austauschprozesse organisiert und welche Erwartungen an jeden Einzelnen gestellt werden, um sich als vollwertiger Teilnehmer an diesen Prozessen konstituieren zu können.“ (ebd.:129) Ebenso wandelt sich die Selbstkonzeption weg von einer essentialistischen hin zu einer performativen. Vor diesem Hintergrund führt es, so Stalder, zu keinem Widerspruch, „in verschiedenen gemeinschaftlichen Formationen jeweils unterschiedlich als ‚ich selbst‘ aufzutauchen, denn jede Formation ist umfassend, das heißt, die ganze Person ansprechend, und gleichzeitig partiell, weil nur auf ein bestimmtes Ziel und nicht auf alle Lebensbereiche hin ausgerichtet. Ähnlich wie beim Remix und anderen referentiellen Verfahren geht es hier nicht darum, Authentizität zu bewahren, sondern sie jeweils im Moment herzustellen.“ (ebd.:143) Mit der Komplizenschaft teilt dieses Verständnis also einen temporären und performativen Charakter möglicher Formen und Qualitäten der Zusammenarbeit, die sich in postdigitalen Gesellschaften wandeln bzw. in neue, andere Möglichkeiten des Gemeinschaftlichen transformieren.
HACK: ‚ich selbst‘ – das sind viele Schnipsel, um Teil unterschiedlicher Collagen zu werden. Mal ist er im Vergleich zu den anderen kleiner, mal größer, mal greller, mal unauffälliger, mal aussagekräftiger etc.
HACK: ‚ich selbst‘, das heißt, Identität ist damit auch immer weniger monolithisch zu begreifen, sondern nur noch plural möglich (vgl. Nancy 2004). Meine Identität ist entgrenzt und grenzenlos, durch die unterschiedlichen Rollen, die ich einnehme, in der Formation mit euch, meiner Familie, meinem Freundeskreis, meiner Tätigkeit, meinem Handeln in der Welt.
Im Zusammenhang mit der Informalität weist Stalder auf die Gefahr des diskriminierenden Ausschlusses hin. Diskriminierung lasse sich in informellen, freiwilligen Bereichen schwieriger fassen und verhindern als in formal organisierten, denn es zwinge einen ja niemand zur Teilnahme, man könne ja gehen, wenn man sich nicht wohl fühle (vgl. Stalder 2017:158). Doch damit ist eine oft vermeintliche Offenheit und Möglichkeit der Partizipation nicht wirklich gegeben, nicht jede*r kann hinzukommen und die eigene Perspektive einbringen – wodurch Ausschluss und Diskriminierung, Lücken und blinde Flecken entstehen.
„Sorry – du konntest ja partizipieren!“ (Zitat vom Pappteller)
Digitale Möglichkeiten und Angebote gilt es in ihrer jeweiligen Verwobenheit mit anderen Phänomenen und Prozessen kritisch zu betrachten – und im Lichte von Expertisen zu strukturellen Ungleichheiten, zu Barrierearmut, Diskriminierungskritik und Postkolonialismus. So schärft sich beispielsweise das Bewusstsein für neue Barrieren im Digitalen, für Diskriminierung durch künstliche Intelligenz und für die Notwendigkeit entsprechender Handlungsstrategien, um dem entgegenzuwirken. Gleichzeitig sind Handlungen, Ideen, Entscheidungen, Angebote und Ansprüche daran stets geprägt von einer Kultur der Digitalität – „innerhalb von Strukturen monopolisierter Plattformen, von Aufmerksamkeitslenkung, flächendeckender Datenerfassung und unüberschaubarer, bedeutungserzeugender Aussagenkomplexe“ (Klein 2019). Das bedeutet, dass eben auch „‚nicht-digitale’, also nicht unmittelbar technische Lebensvollzüge durch Digitalisierungsprozesse geformt werden" (Jörissen/Schröder/Carnap 2020:61). Kooperative, kollaborative und komplizenhafte Praktiken erhalten dadurch neue Möglichkeiten und Facetten, aber auch Herausforderungen und Fallstricke.
HACK: Im Jahr 2020 hat sich aufgrund der Covid-19-Pandemie die Art unserer Zusammenarbeit und die Gestalt unseres Clusters maßgeblich verändert. Im Unterschied zu den überwiegenden Erfahrungen der Distanzierung und Beschränkung hat sich unsere gemeinsame Arbeit verdichtet und intensiviert. Ich hätte nicht gedacht, dass die dadurch entstandene „digitale Vertrautheit“ eine solche Energie für unseren Schreibprozess bewirken würde.
Part 3 Interaktion: Handlungsprinzip
„Ich lerne hier Menschen kennen, die mir im Austausch aufgrund von Gemeinsamkeiten aber auch Unterschieden wichtige Impulse zu meinen Interessen, Vorstellungen und Tätigkeiten geben. Ich reflektiere meine Vorgehens- und Denkweise.“ (Aussage Clustermitglied)
Die Auseinandersetzung mit dem zweiten titelgebenden Begriff des Clusters erfordert eine andere Herangehensweise. Im Gegensatz zu ‚Partizipation‘ handelt es sich bei ‚Interaktion‘ um einen offeneren, weniger normativ aufgeladenen Begriff, der vielmehr beschreibend unterschiedliche Formen, Gründe und Zwecke des Miteinanders umfasst (vgl. Hofmann 2016a:52-54; zu den Traditionslinien des Interaktionsbegriffs (vgl. Joppien 1981). Bezogen auf unsere Formen der Interaktion in der gemeinsamen Forschungsarbeit im Cluster erscheint uns dabei ein Begriffsverständnis relevant, welches „Interaktion als räumlich situierte Kommunikation unter körperlich anwesenden Personen“ (Herrle/Kade/Nolda 2010:599) versteht. Dabei ist uns die Gestaltung und Reflexion von Denk- und Handlungsräumen, Situationen und Kommunikationsformen für interaktive und partizipative Formen der Zusammenarbeit wichtig. Vor diesem Hintergrund gerät einerseits die leiblich-sinnliche Perspektive interaktiver Handlungszusammenhänge in den Blick, in der körperlich anwesende Personen immer auf einen Anspruch der Erfahrung einer Situation reagieren – was gerade für kulturelle Bildungszusammenhänge bedeutsam wird (vgl. Hallmann 2021). Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die Vorstellung des Clusters als ein sich interaktiv konstituierender Denk-, Handlungs- und Reflexionsraum implizit an raumsoziologische Konzepte (vgl. Löw 2001) und Positionen anknüpft, die kulturtheoretische Betrachtungen anhand von Raummetaphern anstrengen (vgl. Bachmann-Medick 1998, Döring/Thielmann 2008, Bhabha 2011).
Im Folgenden geben wir Einblick in eine Arbeitssequenz, die wir rückblickend mit „Selbstvergewisserung und Selbstverunsicherung“ überschrieben haben. Anhand dessen zeigen wir nicht nur, auf welche Weise sich Interaktion vor dem Hintergrund dieser Verständnisse als Handlungsprinzip auf die gemeinsame Praxis im Cluster auswirkt. Die Ausführungen sind ebenfalls als Antwort auf den Selbstanspruch des Clusters zu lesen, das eigene Handeln und Sein sowie die eigene Macht und Deutungshoheit stetig zu reflektieren.
Hack: Jaaaaa!! So ist es und eins muss hier in diesen verpflichtend digitalisierten Zeiten mal ganz deutlich gesagt werden: Leute - ich vermisse Euch in all eurer bewegten Leiblichkeit von Kopf bis Fuß, vom Atemschnaufer bis zum Geruch des Kaffees, dem Geknurpse von Müslikeksen, dem Gescharre von Stuhlbeinen im Raum unseres physischen Zusammenseins als sichtbar, erfahrbarer, einander zugewandter Gruppe von Individuen, wenn wir im realen Raum und Ort miteinander sind.
Selbstvergewisserung und Selbstverunsicherung
Der Austausch über Erfahrungen und Ideen eigener Vermittlungs- und Forschungsprojekte in der Kulturellen Bildung begleitete unsere Zusammenarbeit im Forschungscluster von Anfang an. In der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Begrifflichkeiten und Diskursen oder in der Präsentation eigener Forschungsprojekte begegneten wir uns im Cluster in unterschiedlichen Konstellationen, fühlten uns in ihnen mal sicher, mal unsicher, immer aber zu Hause.
Wir bemerkten jedoch auch, dass die Arbeit im Cluster als Diskursanalyse, Präsentation und Diskussion eigener Forschungsprojekte in gewisser Weise stagnierte, keine wirkliche Bewegung ins Denken kam. Mit dem Ziel, uns einerseits selbst gewiss zu werden und die Qualitäten der Zusammenarbeit in Worte zu fassen, andererseits aus der Komfortzone heraus in Bewegung und ins Handeln zu kommen, begannen wir uns im Sinne einer Selbstvergewisserung und Selbstverunsicherung zu befragen und neu zu verorten.
Woher komme ich? Warum bin ich hier? Warum bin ich wirklich hier?
Ausgehend von den oben genannten Reflexionsfragen (vgl. Janhsen 2013) setzten wir uns zunächst individuell schreibend mit unseren Zugängen und Beweggründen für die Teilnahme am Cluster auseinander und teilten unsere unabhängig voneinander formulierten Antworten miteinander. Für die weitere Auseinandersetzung mit unseren Selbstbefragungen führten wir bei unserem nächsten Arbeitstreffen die Idee des Austauschs als Form der handelnden Interaktion ein. Im Atelier der Kunstvermittlung im Museum Sinclair-Haus in Bad Homburg, einem unserer wechselnden Arbeitsorte, standen uns dafür auch Materialien und Werkzeuge für ästhetisch-bildnerische Ausdrucksformen zur Verfügung. Sie erweiterten die bis zu diesem Zeitpunkt sprachlich geprägten Diskussionen, eröffneten den in Textform formulierten Aussagen andere Formen und ermöglichten überraschende Neukombinationen.
Aus dem Prozess heraus lassen sich die folgenden zusammenfassenden Aussagen rekonstruieren. Sie machen transparent, aus welchen Positionierungen heraus und mit welchen Zugängen wir in der Interaktion im Cluster etablierte Praxen der Kommunikation über Kultur, Bildung und Forschung erproben und erweitern. Dabei wird deutlich, dass „das Cluster“ als Ganzes – ganz im Sinne einer Collage – von den spezifischen Qualitäten der einzelnen Mitglieder geprägt ist, die sich in der Interaktion miteinander individuell und gemeinsam definieren und weiterentwickeln. Deutlich wird aber auch die besondere Bedeutung des Clusters als eine sichere Umgebung, in der es uns möglich wird, solidarisch zuzuhören, etablierte Ansätze neu zu denken und Situationen herzustellen, die es uns ermöglichen, Selbstverständliches kritisch zu betrachten.
Woher komme ich?
Die erste Frage, die am Anfang unserer Selbstbefragung stand, lässt sich zunächst mit Blick auf institutionelle Rahmungen, Kontexte und fachliche Verortungen beantworten. So kommen wir, die Mitglieder des Forschungsclusters, aus Theorie und Praxis der kulturellen Bildungs- und Forschungsarbeit, vertreten Fachgebiete wie Bildende Kunst, Architektur, Kunst- und Kulturpädagogik, Erziehungswissenschaft, Sozialpädagogik und Kulturanthropologie. Tätigkeitsbereiche sind und waren die kuratorische und vermittlerische Kulturarbeit in Museen, an Schulen und Hochschulen, in der Lehrer*innen- und Erzieher*innenbildung sowie die Forschung und Lehre in der Kulturellen Bildung. Uns interessieren Fragen, Strategien und Praktiken zu kulturellen Vermittlungs-, Bildungs- und Erziehungskonzepten, zum Museum als Erfahrungsraum; wir hinterfragen Ausstellungen als Räume des Sichtbar- und Bewusst-Machens, des Erfahrens und Entdeckens kultureller Praktiken.
Dabei orientieren wir uns an der Materialität und Leiblichkeit von Dingen, Artefakten und der Interaktion mit Menschen in kulturellen Bildungskontexten. Wir wollen erkunden, was es heißt, über Dinge Zusammenhänge zu erschließen und sich wirklich zu bilden. Wie freies Lernen und freie Lerngelegenheiten aussehen können. Wie die Gestaltung von Räumen eine kritische Auseinandersetzung ermöglicht und lebensweltliche Phänomene erschlossen werden können. Doch auch, welche Machtpositionen Pädagog*innen einnehmen können und welche Verantwortung jedwede Vermittlungstätigkeit erfordert (vgl. Aussage Clustermitglied 2019).
Warum bin ich hier?
„Ich habe ein Problem – und den Eindruck, dass ich nicht die einzige bin, die dieses Problem hat. Mein Problem besteht darin, dass ich nicht weiß, wie es weiter gehen soll mit den Herausforderungen, die mir entgegenkommen. Ich meine damit insbesondere die Herausforderungen, die uns heute im Zusammenhang mit Globalisierung, (Post-)Digitalisierung, Ökonomisierung, Migrationsbewegungen, zunehmender sozialer Ungleichheit usw. betreffen. Teilhabe, Integration, Inklusion und Kommunikation scheinen mir auf der zwischenmenschlichen Ebene zentrale Herausforderungen unseres Jahrhunderts zu sein. Wir sind mit der Notwendigkeit konfrontiert, immer wieder neu über die Bedingungen unseres gemeinsamen Zusammenlebens nachzudenken und konkrete Lösungen zu finden. Aber wie wollen wir zusammenleben? Und wie können wir uns annähern?“ (Aussage Clustermitglied 2019)
Wir wollen Fragen stellen dürfen, die man nicht stellt, denken, diskutieren, reflektieren, inspirieren, kommunizieren, verstehen, missverstehen und nichtverstehen, netzwerken, uns auseinandersetzen und professionalisieren. Das Cluster ist ein Denk- und Freiraum ohne Druck, ein Inspirationsraum, ein Ort für Austausch, für Zuflucht und Schutz, in dem wir uns von unseren Erfahrungen erzählen und erzählen lassen, um Anregungen und neue Ansätze für den Umgang mit Divergenzen zwischen realen Gegebenheiten, eigenem Anspruch und Zukunftsvisionen zu entwickeln. Die Treffen verhandeln die eigene Suche nach Verortung im und zum Feld der Kulturellen Bildung und dabei, „einen roten Faden zu entwickeln. Sie helfen Perspektiven zu wechseln, die eigene Forschung zu erarbeiten und zu hinterfragen“ (Aussage Clustermitglied 2019).
„Ich tausche mich aus. Ich interagiere und reagiere, auf das, was von den anderen in die Gruppe hineingetragen wird. Ich denke mich in die Projekte der anderen hinein, mache sie für den Moment zu meinen eigenen, beteilige mich daran mit meinem Wissen, meinen Überlegungen und mit Intuitionen. Ich rede, rede, rede. Ich höre anderen und mir beim Reden zu und entdecke neue Sichtweisen, teste und prüfe meine Überzeugungen, meine Positionen.“ (Aussage Clustermitglied 2019)
Als Clustermitgliedern im Prozess der Positionierung zum komplexen und dynamischen Begriffsthema Partizipation und Interaktion in der Kulturellen Bildung darf uns nicht aus dem Blickwinkel geraten, was uns letztlich auch zusammenhält: die Kunst im engeren und die Kultur im weiteren Sinne. Die Aussage des spanischen Künstlers und Pädagogen Jordi Ferreiro, dass Kunst vor allem eine Praxis des Dialogs sei, die neue Kanäle und Wege der Kommunikation über Machtstrukturen hinweg schaffen kann (Ferreiro 2020:96), ermutigt dazu, diese Perspektive wieder stärker in konflikthaften Denk- und Aushandlungsprozessen kultureller Bildungs- und Forschungsarbeit zu betonen.
Für uns bedeutet dies im Rahmen der gemeinsamen Clusterarbeit immer wieder auch die jeweiligen institutionellen Orte unserer kulturellen Bildungs- und Forschungsarbeit gemeinsam aufzusuchen, uns mit der Kunst und Kultur vor Ort und den Formen ihrer Präsentation auseinanderzusetzen, das Eigene durch die Wahrnehmung der anderen zu beobachten und blinde Flecken selbstverständlich gewordener Handlungsweisen überhaupt erst einmal zu bemerken. Ein geteiltes Gemeinsames kann auf diese Weise entstehen, dass nicht fest-, sondern fortschreibend ein neues Gemeinsames erprobt wird.
„Ich erforsche und reflektiere meine Haltung, die auf Authentizität und radikalem Respekt beruht, mit Hingabe an das Thema und den Prozess, auf der Basis von Wertschätzung, Empathie und Wertfreiheit – denn darum geht es für mich: mit unterschiedlichsten Menschen gemeinsam Denk- und Handlungsräume zu eröffnen. Aber auch um: Fantasie, Humor, Neugierde, Sinn für Widerständiges – immer mit der Haltung des gegenseitigen Lernens.“ (Aussage Clustermitglied 2019)
Warum bin ich wirklich hier?
Die Qualitäten des Clusters sind Offenheit, Respekt und Akzeptanz für die Unterschiedlichkeit der Blickwinkel und Positionen im Feld. Beglückendes gemeinsames Denken, Hören, Nicht-Verstehen und Verstehen des gemeinschaftlichen, suchenden Denkens. Veränderbarkeit und Flexibilität machen den Verbund aus, der komplizenhaft in einer gemeinsamen Sache, einem gemeinsamen Interesse verbunden ist.
„Ein Ort der Kollegialität im Unterschiedlichen. Eine Tankstelle. Ein Interaktionsraum, in dem ich teilnehmen und teilhaben kann. Ein Ort der Selbstvergewisserung und gleichermaßen Selbstverunsicherung.“ (Aussage Clustermitglied 2019)
Sind solche Formen der Gemeinschaftlichkeit und das Gemeinsame des Menschlichen als Voraussetzung für Partizipation in der Kulturellen Bildung notwendig? Oder suchen wir uns diejenigen, die uns ähnlich sind, weil ein Dialog im Sinne eines Transformationsprozesses eigener und anderer Perspektiven immer auch das ‚Dazwischen‘ als Abstand braucht, um anders auf das Bekannt zu blicken und um Zukunftsvisionen zu entwickeln?
„Das Cluster hat für mich hohe Bedeutung, weil es den Mangel an Diskurs in meinem Fach potentiell kompensieren kann. Ich kann mir ein Arbeiten ohne den Austausch mit anderen nicht vorstellen.“ (Aussage Clustermitglied 2019)
„Mich beschäftigt maßgeblich unser Umgang mit der planetarischen Krise. Wenn ich Natur nicht als Gegenstand der Ausbeutung zugunsten von Einzelinteressen sehen will, kann ich die Idee des Gefüges als ein großes Miteinander verstehen. Gemeinsam und vernetzt können wir Herausforderungen begegnen. Partizipative Kollaborationsprozesse als Modell für die Zukunft?“ (Aussage Clustermitglied 2019)
Part 4 Mit Abstand gesehen...
Im Cluster wird Interaktion vor allem praktiziert, indem das eigene Handeln und das eigene Selbstverständnis im Austausch mit anderen einen Reflexionsraum erhalten. Darin ist es möglich, Positionen (versuchsweise) zu beziehen oder auch nicht zu beziehen, Unsicherheiten einzugestehen, Grenzen und Fehlbarkeit zu erkennen, systemische Kritik zu üben und Selbstverunsicherung zuzulassen. Damit vollzieht sich im Cluster ein „Dazwischentreten eines Dritten Raumes der Äußerung” (Bhabha 2011:56), innerhalb dessen eindeutige Symbole, polarisierende Dichotomien und Stereotypen veruneindeutigt und irritiert werden. Diesem Verständnis von Interaktion entsprechend soll auch der vorliegende Text dazu beitragen, dass kein statisches Bild entsteht, wenn über Interaktion und Partizipation gemeinsam nachgedacht, geforscht und verhandelt wird. Wir wollen für den sensiblen wie diskursivoffenen Umgang mit dem, was unter dem Begriff Partizipation subsumiert wird, werben und die gemeinschaftliche Selbstreflexion als Methode vorschlagen (vgl. Hofmann 2020).
Hack: Ich will durch und mit der Erfahrung unseres eigenen partizipativen Dialogprozesses, in dem wir ringen und verwerfen und erkennen und verstehen, dazu beitragen, dass kein Ausschluss entsteht, wenn man über Partizipation nachdenkt und sie in die Praxis bringt. Die eigene professionelle Deformation darf das Grundrecht auf kulturelle Partizipation nicht behindern.
Der Text dokumentiert also unseren gemeinsamen Selbstversuch, in dem wir Partizipation als Auslegungssache und Interaktion als Handlungsprinzip diskutiert, verhandelt und erprobt haben. Im Verlauf des über einjährigen gemeinsamen, experimentellen Schreibprozesses haben sich die Collage und ihre Inhalte permanent verändert und verschoben. Über weite Strecken wurde der Text von allen sieben Autor*innen gemeinsam konzipiert und produziert. Erst zu einem sehr späten Zeitpunkt haben wir die Arbeit individuell und dialogisch in kleineren Formationen fortgesetzt und schließlich wieder in der gesamten Gruppe beendet.
HACK: Wo kann ich mich und meinen Beitrag im Sinne des Prinzips der Collage einbringen, an welcher Stelle des erforderlichen Raumes partizipieren? Was kann ich noch Denk- und Sagbares hinzugeben? Welches „Einzelteil“ also, das im Sinne einer künstlerischen Collage in der Neukombination Spannung und Bezüge schafft?
Die thematischen Linien, denen wir – teils bewusst, teils unbewusst – in unserem Selbstversuch gefolgt sind, haben eine netzförmige Struktur gebildet, die für uns als Autor*innen bereits als potentiell starkes, belastbares Gewebe unter unserer Textcollage erkennbar wird und mit dem wir in Zukunft weiterarbeiten werden. Dieses Gewebe setzt sich zusammen aus dem, was wir mitbringen – gemeinsame und unterschiedliche Bezüge, geteilte oder komplementäre Praxen und Interessen – und aus den individuellen theoretischen Beiträgen zur Diskussion der für das Cluster titelgebenden Begriffe. Sie halten die Verhandlungen lebendig und machen immer wieder neue Verständigungsprozesse sowie die Anerkennung des Dissens‘ erforderlich. Die Struktur unserer Auseinandersetzungen, die wir im Sinne einer Collage mit diesem Text aufzudecken versuchen, verdichtet sich in der Kombination von Theorie mit unseren eigenen, interaktiven und kollaborativen Arbeitspraxen. Dies folgt einer pluralen Logik, in der mehrere Positionen zueinander in Beziehung wie Relation stehen, die sich gegenseitig Freiräume einräumen und Deutungshoheit abgeben, um in etwas temporär Gemeinsames und Neues zu transformieren. Insofern wurde durch die gemeinsamen Anerkennungs- und Kommunikationsprozesse auch deutlich, wie sich Forschung über Partizipation in den Momenten radikal verändert, in denen wir sie selbst als handelnde Interaktionen praktizieren und forschend reflektieren.
Kein Ende
So, wie sich die hier vorliegende Textcollage einer Fixierung entzieht, verweigert sich das Cluster selbst einer festen Arbeitsform. Mal öffnet es sich, z. B. auf Tagungen und Workshops, um Impulse von und nach Außen aufzunehmen bzw. weiterzugeben. Dann wieder konzentriert es sich auf einen inneren Kreis von Kompliz*innen und bietet diesen einen Rückzugsort und Schutzraum, um die Einwirkungen von außen zu verarbeiten und daran anschließende Überlegungen entwickeln zu können.
Hack: Wir wollen kein fertiges Bild vermitteln, auf keine abgeschlossene Definition verweisen, denn das würde den Eindruck erwecken, wir haben es erfasst und eine Rahmung ist möglich. Doch gerade eben die Collage ist unser Bild, unsere Metapher, von und für Partizipation. Denn Partizipation ist genau das: (Collage-)Teile, die ineinandergreifen und ein Ganzes ergeben können. All die Schnipsel neu sortiert, neu gemischt, können wieder etwas Ganzes ergeben. Aber dieses Ganze ist immer anders, denn es hängt von den Teilen ab, die hier zusammenkommen. Und wer sie zusammenbringt. Und diese Metapher jetzt übertragen auf pädagogische, künstlerische, wissenschaftliche Prozesse in der Kulturellen Bildung: Jede*r Beteiligte*r hat Einfluss auf das Ganze und gestaltet es.
Gerade die Erkenntnis, dass Partizipation selbst ein Begriff ist, der wiederum voller weiterer Begriffe ist, nehmen wir als einen wichtigen Aspekt aus diesem gemeinsamen Selbstversuch mit. In der Metapher der Collage gesprochen: wir zerlegen Partizipation und entdecken zahlreiche, ambivalente Fragmente, einzelne Teile – und erkennen, dass wir dadurch nicht eine Anleitung entwickeln wollen, einen Code o.ä., wie man diese Stücke am besten zusammensetzt, um Partizipation zu fassen, zu erklären oder zu garantieren. Vielmehr ist Partizipation immer abhängig von den Teilen, Schnipseln, Personen und kann nur interaktiv in kollaborativen Auslegungs- und Aushandlungsprozessen erfolgen, die zu einem neuen temporären Ganzen werden.
„Prozesse, das sind die verschiedensten Formen von Beziehungen, des Kennenlernens, Entdeckens, Verbindens, Erprobens, Agierens, Ausverhandelns, Kommunizierens und Lernens. Frei nach Donna Haraway: wie ein Fadenspiel solle auch das Denken sein, es solle Fiktionen mit Fakten verbinden, neue Geschichten erfinden mit offenen Enden, an die sich weiter anknüpfen lässt.“ (Büro trafo.K, 2020:129)
Auch dieser Text ist entsprechend weniger als ein fertiger Beitrag zu verstehen und mehr als eine geteilte Erfahrung mit komplizierter bis kompliz*innenschaftlicher Kommunikation im Rahmen eines gemeinsamen Selbstversuchs, in dem wir uns als forschend Lernende in einen Prozess begeben haben, dessen Entwicklung offen war und bleibt.
HACK: Der Abschluss fadet gerade aus wie ein synchroner Schreibdialog im virtuellen Raum, wie eine gute Unterhaltung bis tief in die Nacht.