Die Geschichte der Ästhetischen Bildung
Zum Begriff der Ästhetischen Bildung
Beabsichtigt man eine historische Rekonstruktion Ästhetischer Bildung, so erscheint es unumgänglich, zunächst einmal einen Begriff dieser Bildungsform zu entwickeln. Dies ist deshalb notwendig, weil es erstens keine allgemeingültige Definition der „Ästhetischen Bildung“ gibt und weil zweitens die Ästhetik im wörtlichen Sinn erst seit den 1750er Jahren – begründet durch Alexander Gottlieb Baumgartens (1714-1762) Schrift Aesthetica (2 Bde. 1750-58) – zur Entfaltung kam, ein Nachdenken über Ästhetik jedoch seit der griechischen Antike belegbar ist. Darüber hinaus ist mit Blick auf die weitläufige deutschsprachige Diskussion über den Bildungsbegriff und dessen Implikationen ein vielschichtiges semantisches Feld zu konstatieren, das ebenfalls systematisch in den Blick zu nehmen ist, wenn man eine historische Perspektive eröffnen und nachvollziehen möchte.
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen soll es im weiteren Verlauf nun darum gehen, wie sich das theoretische Nachdenken über das, was man aus einer heutigen Perspektive als Ästhetische Bildung bezeichnen kann, historisch in theoretischen Grundpositionen entwickelt hat. Die Fokussierung von Theorien über Ästhetische Bildung erscheint hierbei deshalb als angemessen, weil die vorhandenen historischen textlichen Quellen im Kern Überlegungen und Reflexionen darstellen und kaum Berichte tatsächlicher historischer Praxen Ästhetischer Bildung beinhalten.
Die Tatsache, dass ein Nachdenken über Ästhetik und Bildung seit der griechischen Antike zwar nachweisbar, aber weder mit unseren heutigen Begrifflichkeiten noch in der Fokussierung auf den expliziten Zusammenhang von Ästhetischer Bildung geführt worden ist, macht es notwendig, dass man über weite Strecken implizite Vorstellungen und Konzeptionen sichtbar machen muss. Aus diesem Grund erscheint schließlich ein weiter Begriff von Ästhetischer Bildung eine adäquate Ausgangsbasis zu sein. Ästhetische Bildung soll aus diesem Grund im Folgenden im Sinne einer sinnlich-reflexiven und performativ-handlungsbezogenen menschlichen Praxis verstanden werden „als reflektierende und in Urteilen sich präsentierende Bildungsform, die in besonderer Weise die prozessualen Möglichkeiten für Übergänge, Verknüpfungen und das In-Beziehung-Setzen von Wahrnehmungen, Erfahrung und Imaginationen auf der einen und Kunst, Schönheit und die mit ihr verbundenen Zeichen und Symbole auf der anderen Seite betrifft“ (Zirfas u.a. 2009:20).
Griechische und Römische Antike (8. Jh. v. Chr. bis 6. Jh. n. Chr.)
Das pädagogische Denken der griechischen Antike verweist mit dem Erziehungs- und Bildungsideal der kalokagathia als einer Verbindung von Schönheit und Tugend an zentraler Stelle auf die Relevanz eines ästhetischen Moments, da die Auseinandersetzung mit dem objektiv Schönen eine moralische Notwendigkeit bedeutet. Insbesondere bei Platon und Aristoteles finden sich deutliche Hinweise auf das Erkennen und Wertschätzen einer qualitativen Eigenständigkeit derjenigen Bildungsprozesse, die man heute als ästhetische erachten würde, wobei es im Kern Aristoteles war, der der aisthesis, also der sinnlichen Wahrnehmung im Allgemeinen, eine grundsätzlich eigenständige Bedeutsamkeit zusprach.
Trotz seiner ansonsten kritischen Haltung der Kunst gegenüber äußert Platon (427-347 v. Chr.) eine explizite Wertschätzung der Musik für die Erziehung, und zwar deshalb, weil die richtige, also wohlklingende, Musik positiv auf die Seele des Menschen einwirkt und damit die Liebe zur Schönheit und deshalb schließlich auch zu Moral und Wahrheit angebahnt wird. Objektive Schönheit als letztgültige Einheit der Differenzen wird hier – wie in der gesamten Antike – gerade auch in einer pädagogischen Perspektive zu einer idealen Bezugsnorm. Dem Prinzip der Nachahmung (mimesis) kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu: In der Erziehung darf nur Schönes zur Nachahmung gebracht werden, da alles, was Menschen früh und intensiv aufnehmen, zur zweiten Natur wird (siehe Ulf Otto „Mimesis“ ).
Bei Aristoteles (384-322 v. Chr.) entwickelt sich Ästhetische Bildung zu einer grundlegenden Notwendigkeit bürgerlicher Existenz in der antiken Polis als einer Mußegesellschaft, in der zum einen ästhetisches Tun integraler Bestandteil des Lebens war und in der zum anderen ein tugendhaftes Leben direkt mit den Tätigkeiten der Muße in Verbindung gebracht wurde. Die ästhetische Bildung als Teil der persönlichen tugendhaften Vervollkommnung eines jeden Menschen ist hier also zweckhaft und überindividuell und somit normativ. Es geht nicht um freie ästhetische Entfaltung als Selbstzweck, sondern um die Bildung eines ganz bestimmten Menschen, nämlich des Athener Staatsbürgers. Rezeptive (z.B. das Theater-Sehen) und produktive (z.B. das Erlernen des Musizierens) ästhetische Erlebnisse und damit die Auseinandersetzung mit Kunst entwickeln sich bei Aristoteles in diesem Kontext zu eigenständigen pädagogisch wirksamen Bildungsdimensionen, die sowohl kathartisch (sinnlich reinigend) als auch hedonistisch (sinnlich genießerisch) und erkenntnisleitend wirksam werden konnten.
War für die Griechen die kalokagathia der Inbegriff bürgerlicher Vollkommenheit, so äußerte sich die vollkommene Übereinstimmung von Schönheit und Güte im Denken der Römer analog in der Gestalt des vir bonus, des guten, tadellosen Mannes. In ihm gehen das Soziale, das Ethische und das Ästhetische eine enge Verbindung ein. Hier wie da wurde eine Beziehung von Körper und Seele angestrebt, in der der schöne Körper Ausdruck der moralisch guten Seele sein soll.
Bei Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) schlägt sich dieses Ideal des vir bonus in der Begrifflichkeit des decorums als einem äußeren Zeichen für ästhetisch-sittliche Bildung nieder. Das decorum bezeichnet bei Cicero eine ideale, äußerlich wahrnehmbare Analogie von körperlicher und charakterlicher Schönheit. Objektive Schönheit als äußere Manifestation eines inneren Seinszustandes ist damit ein Zeichen von menschlicher Anmut und Würde. Nach Cicero sollte der einzelne Mensch ein schickliches, d.h. harmonisches Leben ausbilden, um letztlich in erster Linie zu einem gesitteten Mitglied des Staates zu werden.
Deutlich weniger staats- als vielmehr subjektbezogen proklamiert der Stoiker Lucius Aeneas Seneca (4 v. Chr.-65 n. Chr.) eine Kunst des Lebens (ars vivendi), die einen muße- und kontemplationsbezogenen Lebensstil impliziert. Diese beiden im Kern ästhetischen Tätigkeiten sollen dem Menschen einen anderen Umgang mit dem Leben ermöglichen. Die tätige Untätigkeit sowie die Hingabe an ein interesseloses Wohlgefallen an der Welt werden dabei zum zentralen Bezugspunkt einer Lebenskunst, die schließlich einen biografischen Selbstfindungsprozess bedeutet, der es dem Einzelnen ermöglichen soll, sich kontinuierlich an den Zustand der Weisheit anzunähern.
Mittelalter (6. Jh. bis Anfang 16. Jh.)
Das europäische Mittelalter, die dazwischen liegende, durch die Humanisten des 14. Jh.s zu einer namen- und identitätslosen Epoche zwischen der Antike und der Neubesinnung auf die Antike in der europäischen Renaissance herab gestufte Zeit von beinahe 1.000 Jahren europäischer Kulturgeschichte, ist in ihrem Denken zutiefst geprägt durch den Nachklang der Antike, den Einfluss germanischer Elemente sowie das Welt- und Menschenbild der christlichen Kirche. In diesem Kontext entwickelt das Schöne für den mittelalterlichen Menschen eine tiefe ontologische und spirituelle Bedeutung. Schönheit ist nicht nur ein abstrakter Begriff, mit dem die ästhetische Wertigkeit eines Kunstobjekts beschrieben werden kann, sondern Schönheit ist in dem von Gott geschaffenen großen Weltengefüge ganz konkret erfahrbar. Eine Bildung an der Schönheit der Dinge wurde deshalb in Verbindung gebracht mit der Entwicklung eines Bewusstseins für die metaphysische Schönheit des Göttlichen. Bildungstheoretisch betrachtet muss der Mensch folglich in seinem Leben zur Schau der transzendenten Schönheit Gottes geführt werden. Diese ist jedoch nicht ohne den Umweg des Erfassens irdischer Schönheit zu denken, die sich in Maß, Zahl, Proportion und Harmonie ausdrücken lässt. Aus diesem Grund ist mittelalterlichen Kunstwerken neben ihrer metaphysisch-kontemplativen Gesamtcharakteristik auch stets ein eigentümlich gebrauchsbezogener Aspekt zu Eigen: Sie können den Weg zu göttlicher Schönheit anbahnen.
Schon bei Aurelius Augustinus (354-430) hatte die Kunst die Funktion, die Schönheit der Welt sichtbar zu machen. Die Zweckdienlichkeit der regelgerechten Kunst, vor allem der Musik sieht Augustinus insbesondere darin, die Wahrnehmung der mathematischen Verhältnisse der Welt zu fördern. Der Bildungsweg führt bei Augustinus dabei weg vom Erfassen des Äußeren, hin zur Beschäftigung des Menschen mit seiner Innenwelt, sprich seiner Seele, deren göttlicher Ursprung aufzudecken ist. Die Wahrnehmung weltlicher Schönheit ist somit nur der Anfang eines Prozesses, der eigentlich auf die Bildung der Seele im Sinne ihrer Befähigung zur Schau der göttlichen Schönheit abzielt. Bildung soll den Menschen zur inneren Einsicht befähigen, dass Schönheit und Wahrheit mit Christus identisch sind.
Allgemein schien es im Mittelalter durch die Musik möglich zu sein, die transzendente Harmonie der Welt erfahrbar zu machen, da man annahm, in der Regelhaftigkeit der Musik würde sich die göttliche Weltenordnung in einer besonderen Art und Weise widerspiegeln. In wirkungsästhetischer Hinsicht geht es dabei darum, die Musik als ein Hilfsmittel aufzufassen, das sinnlich-ästhetische Erlebnisse anbahnt, die dann im weiteren Verlauf in der Lage sind, den Verstand des Menschen auf die unhörbaren göttlichen Harmonien zu lenken. Grundsätzlich wurde die Welt im Mittelalter als ein in sich logisch geschaffener, umfassender harmonischer Korrespondenzbau erachtet, in dem alles auf die göttliche Schönheit verweist. Dementsprechend ist es nahe liegend, eine implizite ästhetische Bildungsvorstellung des Mittelalters anzunehmen, die daraufhin zielt, mittels einer Schärfung des sinnlichen Erkenntnisvermögens die göttliche Wahrheit hinter den Dingen besser erkennen zu können. Derartige Vorstellungen verbleiben jedoch über weite Strecken auf einer nicht ausformulierten Ebene. Vorstellungen Ästhetischer Bildung sind im Mittelalter somit auch nichts Eigenständiges, sondern erscheinen in strikt theologischen Argumentationskontexten und sind auch nur vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Theologie zu lesen.
Überaus deutlich zeigt sich diese theologische Rück- bzw. Einbindung von Kunst und Schönheit auch bei Thomas von Aquin (1225-1274): Als gebildet erweist sich der Mensch dann, wenn er sich als Konzentrat und Repräsentant einer göttlichen Einheit versteht, die die Welt und das Selbst nach Maßgabe dieser Einheit organisch im Hinblick auf seine Vollendbarkeit formen. Bildung zielt auf den unendlichen Vollzug des Selbst als Imago Dei, als Ebenbild Gottes. Von daher ist die Erfahrung der Schönheit nicht gleichzusetzen mit einem psychologischen Überwältigungserlebnis oder mit einer imaginativen Transformationserfahrung oder gar mit der kreativen Hervorbringung eines Gegenstandes. Schönheit bedeutet im prinzipiellen Sinn des Mittelalters das Wissen um die komplexe Ordnung des Seins.
Frühe Neuzeit (14. Jh. bis Ende 17. Jh.)
Unter dem Begriff „Frühe Neuzeit“ werden hier die Epochen der Renaissance, der Reformation und des Barock zusammengefasst. Historisch ergeben sich bei diesen Epochen hinsichtlich der europäisch-abendländischen Kulturgeschichte allerdings Überscheidungen mit dem Spätmittelalter und damit auch Schnittstellen zu einer Koexistenz mittelalterlicher und neuerer ästhetischer Vorstellungen. Bis in das 15. Jh. hinein erschien die Welt immer noch als ein zumindest latent wohlgeordneter, ganzheitlicher Kosmos, dem jedoch insbesondere in der Zeit des 30-jährigen Krieges das Bild des Weltenlabyrinths bzw. der aus den Fugen geratenen hiesigen Welt, zur Seite gestellt wurde. Verbindende Kennzeichen dieser sehr heterogenen Strömungen sind unter anderem die Erneuerung antiken Gedankenguts, ein neues dynamisches Menschenbild, das das Subjekt fokussierte, eine verstärkte Hinwendung zur empirischen Erfassung der Wirklichkeit, eine Bedeutungszunahme der Städte als Bildungsräume, die mit einer Zunahme der Bedeutung öffentlicher, kulturell-ästhetischer Bildung einhergeht, sowie insbesondere ein sich stetig von der Religion lösender künstlerischer Diskurs. Im Zuge dieser letztgenannten Entwicklung vollzog sich auch eine Ablösung der Naturschönheit als oberste Schönheit durch die Kunstschönheit. Doch nach wie vor galt Gott als Schöpfer der Welt und damit als erster Künstler.
Bildungstheoretisch wurde in der italienischen Renaissance mit der Idee des uomo universale, des universal gebildeten Menschen bzw. des gentil uomo, des allseitig gebildeten adligen Mannes, ein Ideal entworfen, das mit seiner engen Verbindung von Bildung und Kultur äußerst nachhaltig das europäische Bildungsdenken beeinflusste und in vielfältigen Formen, z.B. in der des englischen gentleman, weiterexistierte.
Das Ideal des gentil uomo wurde zuerst im Jahre 1528 von Baldassare Castiglione (1478-1529) in seinem Buch über die Geschicke des Hofmannes (Il libro del cortegiano) beschrieben. Dieses Bildungsmodell entwirft ein Ideal ästhetisch-höfischer Bildung, bei dem die Menschen weniger für die Belange von Hof und Stadt ausgebildet, sondern umgekehrt diese Bildungsräume für die Zu-Bildenden und Gebildeten funktionalisiert werden. Realisiert werden sollte eine umfassende literarisch-künstlerisch-philosophisch-ästhetische Bildung, die dem Menschen zu einer eleganten, geistreichen, anmutigen und geschliffenen Lebensweise verhelfen sollte. Dabei setzte auch dieses Modell voraus, dass – wie in der Antike – eine Bildungsschicht vorhanden war, die das Bedürfnis nach Bildung empfand und die entsprechenden Mittel hatte, um in Muße ihrer Bildung nachzugehen.
Noch sehr viel umfassender zeigt sich das Konzept des Universalmenschen der Renaissance bei Leon Battista Alberti (1404-1472), der sich selbst paradigmatisch zu einem ästhetisch-tugendhaft vollendeten Menschen stilisierte. Zeit seines Lebens war er bestrebt, sich selbst und die Dinge der Welt – er war unter anderem Baumeister – vollendet harmonisch kunstförmig zu gestalten. Bildung ist bei Alberti dabei sehr deutlich als ein doppelt gerichteter Formschaffungsprozess aufzufassen, der sich sowohl auf die äußere Welt als auch auf das innere Selbst bezieht.
Obwohl in beiden Fällen die Ästhetische Bildung stark auf das sich bildende Subjekt bezogen ist, so ist das Streben nach umfassender Selbstvervollkommnung bei Castiglione und Alberti nicht zweckfrei, sondern zielt im Kern immer auch auf gesellschaftliche Anerkennung ab. Mit Leonardo da Vinci (1452-1519) und Giorgio Vasari (1511-1574) wird die ästhetische Bildung im Kontext einer Kunst als Wissenschaft der Erfahrung und einer normativen Entwicklung hin zur artistischen Vollkommenheit diskutiert.
Das Zeitalter der Reformation ist zutiefst geprägt durch das Wirken Martin Luthers (1483-1546) und Philipp Melanchthons (1497-1560). Obwohl sich Luther nicht explizit zu bildungstheoretischen oder ästhetischen Fragen geäußert hat, so ist er doch in diesem Kontext von besonderem Interesse, da seine theologischen Überlegungen so etwas wie eine medientheoretische Rezeptionsästhetik beinhalten: Luther rückt das Wort Gottes als Schrift und als Musik in den Mittelpunkt seiner pädagogischen Überlegungen und verbindet mit diesen Medien ganz spezifische, nämlich theologische Wirkungserwartungen. Die Gnade Gottes zeigt sich für Luther darin, dass Schrift und Musik für die Menschen eine besondere Bedeutung gewinnen, indem sie zu Gottes Wort werden. Das Lesen und das Singen sind damit zentrale menschliche Tätigkeiten, in denen Gott erfahren werden kann. Bei Philipp Melanchthon waren die theologischen Fragen noch enger als bei Luther mit pädagogischen und vor allem auch humanistischen Überlegungen verbunden. Das Prinzip der Eloquenz, also die Fähigkeit eines Menschen, sowohl objektiv schöne als auch argumentativ logische und sachlich korrekte Reden zu halten, ist für ihn die grundlegende Bedingung zu umfassender moralischer und religiöser Bildung. Die aus der analytischen, ästhetischen und mimetischen Beschäftigung mit antiken Sprachvorbildern resultierende Eloquenz beinhaltet bei Melanchthon demnach keinen Selbstzweck, sondern sie ist ausgerichtet am wahren Ziel der Bildung, nämlich die göttliche Wahrheit erfahren zu können.
Aufklärung (Ende 17. Jh. bis Ende 18. Jh.)
Die Aufklärung kann als das Zeitalter der Begründung der Eigenständigkeit, der Relationierung und der Subjektivierung der Ästhetischen Bildung verstanden werden – der Eigenständigkeit, weil Baumgarten die Ästhetik als gesonderte Logik der nicht-rationalen, sinnlichen Erkenntnis entwirft, die der nur der Philosophie vorbehaltenen Wissenschaftlichkeit entgegentritt; der Relationierung, weil die Aufklärung sich in ihren jeweiligen – englischen, französischen und deutschen – Spielarten von der antiken und mittelalterlichen objektiven Maßästhetik löst, die aus kosmologischen und religiösen Kontexten gewonnen wurde, und damit – holzschnittartig formuliert – die Ästhetische Bildung mit der Sozialität, mit der Sinnlichkeit oder mit der Vernunft in Verbindung bringt; und schließlich der Subjektivierung: Die Aufklärung rekurriert auf das Subjekt als entscheidende Instanz in der Erfahrung von Kunst und Schönheit; dabei wird die ästhetische Geschmacksbildung je nach Autor durchaus unterschiedlich ausbuchstabiert, bezogen auf eine statusgerechte Gentleman-Erziehung bei John Locke, auf eine empfindsame Moralität bei Francis Hutcheson, auf eine Ausbildung der Sinnlichkeit bei den französischen Materialisten, auf die identitätsästhetische Transparenz bei Jean-Jacques Rousseau, auf einen spielerisch-fantastischen Umgang mit Kunst und Realität bei Denis Diderot, auf einen an den Mustern der antiken Klassiker geschulten Geschmack bei Johann Joachim Winckelmann, auf die in der moralisch-ästhetischen Anstalt des Theaters gewonnenen Reflexionen und Empfindsamkeiten bei Gotthold Ephraim Lessing oder auch auf den Geschmack am ästhetischen Spiel bei Immanuel Kant usw. Deutlich wird hierbei, dass mit der Aufklärung beginnend sich bis heute ein kaum mehr in einem Überblick zusammenzufassender Diskurs über Ästhetische Bildung entwickelt hat, der sich mit der Ausdifferenzierung der Wissenschaften und deren unterschiedlichen Methoden und erkenntnistheoretischen Ansätzen im 19. und 20. Jh. noch einmal diffundiert und intensiviert hat.
Bedeutsam für diesen Diskurs erscheint zunächst das Modell von Winckelmann (1717-1768), der mit seinen Überlegungen die Epoche des Klassizismus einleitet und Ästhetische Bildung als eine nostalgische Nachahmung der antiken künstlerischen Überlieferungen in „edler Einfalt und stiller Größe“ begreift. Dabei werden die antiken Kunstwerke nicht als Katalysatoren der produktiven, ästhetischen Kräfte, sondern als unmittelbare Vorbilder für Rezeption und Produktion verstanden. Rezeptionsästhetisch ist für Winckelmann das sinnliche Erleben des Kunstwerks mit seiner inneren Organizität und Lebendigkeit für die Bildung konstitutiv.
Im Unterschied zu Winckelmann denkt Lessing (1729-1781) Ästhetische Bildung nicht von der Sinnlichkeit des einzelnen Kunstwerkes, sondern von der begrifflichen Abgrenzung einzelner Kunstgattungen aus. Der von ihm eingeführte Begriff der bildenden Kunst bezieht sich ausdrücklich auf Malerei und Plastik; darüber hinaus gibt es bedeutsame Reflexionen über die Ästhetische Bildung des Theaters, das ihm als ästhetisch-moralische Anstalt für bürgerliche Empfindungen und Haltungen gilt. Im Theater als „Schule der moralischen Welt“ kann man etwas für das Leben in der Welt lernen, nämlich Eloquenz, Menschenkenntnis, Beherrschung des körperlichen und sprachlichen Ausdrucks, Selbstbewusstsein und soziales Verhalten usw., also Kompetenzen, die für das korrekte Rollenhandeln und für repräsentative Aufgaben in der Öffentlichkeit bedeutsam sind.
Kants (1724-1804) Reflexionen zum Geschmack legen nahe, ästhetische Qualitäten und Ästhetische Bildung nicht auf Eigenschaften von Dingen oder Sachverhalten und auch nicht auf die Übereinstimmung mit bestimmten, als objektiv oder natürlich geltenden Kunstregeln, sondern auf die Übereinstimmung von Einbildungskraft und Verstand zu beziehen. Man kann daher Kants implizite Theorie der Ästhetischen Bildung vor allem als Versuch verstehen, die Bedingungen der Möglichkeit von Geschmacksurteilen zu bestimmen: Dazu sollte man eine kontemplative Haltung einnehmen können, die mit einem interesselosen Wohlgefallen einhergeht; man sollte in der Lage sein, dem Gegenstand angemessene Geschmacksurteile zu fällen; man sollte sich der Verallgemeinerungsfähigkeit seiner Urteile bewusst sein und diese immer wieder im Diskurs zu überprüfen versuchen; man sollte sich daher auch durch eine grundsätzliche moralische Einstellung auszeichnen. Im engeren Sinne am bedeutsamsten aber erscheint die Fähigkeit, überhaupt in ein ästhetisches Spiel von Verstand und Einbildungskraft einzutreten.
Klassik (Ende 18. Jh. bis Anfang 19. Jh.)
Die in der Geschichte der Ästhetischen Bildung in der jüngeren Zeit vielleicht bedeutsamste Position nimmt wohl Friedrich Schiller (1759-1805) ein; vermutlich auch deshalb, weil sein Konzept weitreichende soziale und politische Perspektiven mit anthropologischen Annahmen konvergieren lässt. Ausgehend von einer Diagnose der Entfremdung oder Zerrissenheit von Vernunft und Sinnlichkeit, von Ratio und Einbildungskraft, bietet die Ästhetische Bildung eine Überwindung dieser Situation an. Denn in dem von ihm propagierten ästhetischen Zustand sind Sinnlichkeit und Vernunft gleichermaßen tätig. Die Aufhebung der Entzweiung ist nur in der Welt des Scheins und des Spiels möglich, im freien und selbstbestimmten Bereich der Einbildungskraft. Denn das ästhetische Spiel macht den Menschen erst zum humanen Menschen. Für Schiller entfaltet sich der Mensch nur im Spiel in seiner ihm möglichen Humanität, d.h. er kann nur dann ein vollständiger Mensch sein, wenn er spielt. Ästhetische Bildung wird als Spiel mit der Schönheit – mit der lebendigen Form – bestimmt, in dem der sinnliche und der formale Trieb des Menschen gleichermaßen zum Ausdruck kommen können. Der Umgang mit Kunst und Schönheit bzw. die Ästhetische Bildung werden dabei als gesellschafts- und politikverändernde Momente verstanden, die über die Sensibilisierung des Menschen und die Veredelung seines Charakters geschieht. Diese politische Utopie soll im „ästhetischen“ Staat Ausdruck finden, in dem humanistische Ideale gelebt werden. Denn nur im schönen Schein des Spielens realisiert sich das egalitär gedachte Wesen des Menschen.
Wilhelm von Humboldt (1767-1835) liefert nicht nur für die Modellgeschichte der Bildung einen wichtigen Beitrag, indem er diese in einen humanistischen Kontext der möglichst vollständigen und harmonischen Entfaltung von Kräften versetzt, sondern durch die Betonung von Sprache, Kultur und Sozialität als Medien jeglicher humanistischer Bildung liefert er zudem wichtige Anregungen für die Ästhetische Bildung. Vor allem die Reflexionen zur Sprachbildung erscheinen hier von Belang, da Sprache die Menschen in ganz besonderer Weise kultiviert, findet doch Denken, Fühlen und Leben nach Humboldt allein in der Sprache statt. Wenn die Sprache letztlich ihre Bestimmung durch das Individuum selbst erhält, so stellt sie doch auch die Verbindung von Individualität und Allgemeinheit her. Konsequent erscheint daher die Betonung des (geselligen) Gespräches als Ort der Ästhetischen Bildung, da dort die freie individuelle Bestimmung von Bedeutungen mit dem Pluralismus der Meinungen konvergiert und im Wechsel der Ansichten unterschiedliche Lebens- und Weltperspektiven entwickelt werden können.
Für Johann Friedrich Herbart (1776-1841) ist das zentrale pädagogische Geschäft die ästhetische Vermittlung von Welt. Zum zentralen Ort der Ästhetischen Bildung avanciert der (erziehende) Unterricht, der für die Bildung des Gedankenkreises und die Formung des moralischen Charakters zuständig wird. Herbart bringt hierbei den Gedanken der ästhetischen Notwendigkeit als einer ursprünglichen und eigentümlichen Erfahrung von gelungenen Formen ins Spiel, der eine entsprechende moralische Erkenntnis und Haltung promovieren soll. Ästhetische Bildung bekommt hierbei einen dezidiert psychologischen Charakter, da sie in einen fundamentalen Zusammenhang mit dem Vorstellen und Empfinden, dem Bestimmen und Denken und dem Wollen und Handeln gebracht wird.
Romantik (Anfang 19. Jh. bis Anfang 20. Jh.)
In der Romantik dominiert – etwa bei Jean Paul (1763-1825) oder Friedrich Fröbel (1782-1852) – das Modell der Ästhetischen Bildung als organische Entfaltung von natürlichen Anlagen. Ästhetische Bildung wird hier stark kindzentriert, gegenwartsbezogen und mit dem Blick auf eine kindliche Genieästhetik betrachtet. Bildungsmedien sind vor allem Spiele und künstlerische Betätigungen, die die unverwechselbaren Eigenheiten und die individuellen Entwicklungsprozesse am ehesten zur Geltung bringen können. Durch diese Formen der Ästhetischen Bildung sollen das Paradies der Kindheit erhalten und kindliche Potentiale gefördert werden. In dieser Perspektive kommt der (rousseauistische) Glaube an eine Natur zur Geltung, in der eine selbständig schaffende und gestaltende Kraft, die Formen und Modelle des Universums, des Sozialen und des Individuums künstlerisch-spielerisch hervorbringen kann.
Arthur Schopenhauer (1788-1860), der zu Unrecht in der Geschichte der Pädagogik eine kaum wahrgenommene Rolle spielt, gibt der Ästhetischen Bildung eine lebensphilosophische Bedeutung, da sie eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens bereithält. Vor allem mit seinem Konzept der Kontemplation entwickelt er eine Programmatik der Ästhetischen Bildung, die über die Kunsterziehungsbewegung und die Modelle der Musischen Erziehung bis in zeitgenössische kunstwissenschaftliche Hermeneutiken reicht. Dabei spielt vor allem die musikalische Bildung für ihn eine entscheidende Rolle, da diese in der Lage sein soll, das Wesen des Menschen und der Welt – den unendlichen metaphysisch gedachten Willen, der rast- und ruhelos nach Befriedigung strebt, ohne diese finden zu können – zugleich zum Ausdruck wie zur Aufhebung zu bringen. Die Musikrezeption vermittelt dem Menschen eine Mimesis und Transzendenz des mit dem metaphysischen Willen unmittelbar verbundenen Leidens an der Welt und am Selbst. Insofern hat die Ästhetische Bildung teil an der Erlösung von einem pessimistisch verstandenen Leben.
Mit Friedrich Nietzsche (1844-1900) bekommt die Ästhetische Bildung eine leibliche Fundierung, die bis in die Reformpädagogiken des frühen 20. Jh.s. nachwirkt. Ihre Aufgabe besteht darin, einen individuellen und originären Geschmack zu entwickeln, der bis zur Bildung des Körpers und seiner Organe führt. (Der Umgang mit) Kunst wird damit zur eigentlichen Aufgabe des Lebens; die daraus resultierende Lebenskunst hat einen religiösen Charakter, insofern sie das Leben selbst möglich und sinnvoll machen soll. Ästhetische Bildung wird so zur grundlegenden anthropologischen Bildung und das Leben selbst zu einer künstlerischen Grundübung. In seiner Gegenüberstellung von apollinischer (bildnerischer) und dionysischer (musikalischer) Kunst erinnert Nietzsche zudem daran, dass im ästhetischen Bildungsgeschehen nicht nur (apollinische) Form- und Harmoniemomente, Sublimation und maßvolle Rationalität ihren Ort haben sollen, sondern auch (dionysische) Schreckens- und Leidensmomente sowie Verschmelzungs- und Rauscherfahrungen.
Moderne (Anfang 20. Jh. bis zur Gegenwart)
Die mit dem 20. Jh. eingehenden Veränderungen, seien es die der technischen Entwicklungen, die der Beschleunigung und Urbanisierung, die der kulturellen Krisen und politischen Katastrophen sowie die der sozialen und pädagogischen Mobilitäten, haben auch ihre Spuren in den Modellen der Ästhetischen Bildung hinterlassen. Denn diese wird immer stärker nicht nur als Kompensation der mit diesen Veränderungen einhergehenden Verlusterfahrungen von Individualität, Gemeinschaftlichkeit, Sinnlichkeit etc., sondern als ein Feld der Kritik anthropologischer Vereinseitigungen, als ein Ausweg aus kulturellen Schieflagen und als eine hermeneutische und performative Notwendigkeit angesichts einer sich stetig vollziehenden Ästhetisierung der Welt verstanden. Das Gefühl, die Phantasie, das Genießen, der Geschmack und das Verstehen in der Rezeption und vor allem in der Produktion von Kunst und Kultur werden zu zentralen Bestimmungsmomenten einer zeitgenössischen Theorie Ästhetischer Bildung.
Diese Tendenz lässt sich z.B. bei Alfred Lichtwark (1852-1914), einem der zentralen Protagonisten der Kunsterziehungsbewegung, nachzeichnen, dem es nicht nur um eine Ausbildung der Sinnlichkeiten, sondern auch um eine kollektive (nationale) Geschmacksbildung ging. Dass die menschliche Entfaltung der Sinne (vor allem des Auges) nur in der Auseinandersetzung mit der Kunst gelingen kann, und dementsprechend die Entwicklung der Sinne kein bloßes Naturereignis darstellt, das natürlichen Entwicklungsgesetzen folgt, hat schon Rousseau (1712-1778) gewusst und später auch Otto Friedrich Bollnow (1903-1991) betont. Angesichts der Diagnose eines gegenüber Frankreich und England als inferior eingeschätzten deutschen Geschmacks verfolgt Lichtwark aber nicht nur das Ziel einer sinnlichen Erziehung, sondern auch das einer nationalen moralisch-ästhetischen Geschmacksbildung, die alle Lebensbereiche – von der äußeren Erscheinung bis hin zur individuellen Lebensführung – umfassen sollte, womit er einer Demokratisierung der Ästhetischen Bildung Vorschub leistet, die dann von der Bauhaus-Pädagogik aufgegriffen werden konnte.
Die Attraktivität der impliziten Ästhetischen Bildungstheorie von John Dewey (1859-1952), liegt wohl ebenfalls darin, dass er sie aus der Fixierung auf die Ästhetik der Kunst herauslöst, und sie im Alltagsleben und seinen Erfahrungen und Erlebnissen verortet. Der für ihn zentrale Begriff ist der ins Deutsche kaum unverkürzt übertragbare Begriff experience, der den Ausgangspunkt, den Prozess und das Ergebnis einer sinnlichen Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umgebung beschreibt. Ästhetische Bildung bekommt hierbei einen imaginativen Grundton, da in ihr das Alte und Neue, das Individuelle und Allgemeine sowie das Reale und das Mögliche in einem ästhetischen Abenteuer zusammengefasst werden. Kunst von der Alltagserfahrung aus zu denken, impliziert nicht nur eine Nivellierung der Differenz von „hoher“ und „niedriger“ Kunst, sondern auch ein Konzept der Kunst als Verdichtung und Intensivierung der Möglichkeiten von experience und ein Modell der Schönheit als einer intensiven experience, die aus einer Harmonie sinnlicher Spannungen resultiert.
Klaus Mollenhauer (1928-1998) schließlich gebührt das Verdienst, nicht nur als Theoretiker, sondern auch als empirischer Erforscher ästhetischer Bildungsprozesse hervorgetreten zu sein. Theoretisch bestimmt er Ästhetische Bildung einerseits als hermeneutische bzw. ästhetische Alphabetisierung, bei der es darum geht, nicht-sprachliche ästhetische Figurationen historisch-kulturell zu lokalisieren und sie in einem umfangeichen Sinne verstehbar werden zu lassen; andererseits auch als kreative Leistung, insofern Menschen in Ästhetischer Bildung ihre eigene, individuelle Symbolisierungsfähigkeit erfahren können. Anders formuliert: Nur derjenige versteht etwas von der Kunst und Kultur, der sie auch zu „lesen“ versteht; und nur derjenige kann sich selbst zum Ausdruck bringen, der eine Form für seine sinnlichen Impressionen und Imaginationen (er-)findet. Im Umgang mit der Kunst lassen sich aber nicht nur die domänenspezifischen Kompetenzen, sondern auch allgemeine Schlüsselkompetenzen, Kreativität, Wahrnehmungsfähigkeit etc., die in der Moderne immer wichtiger werden, erlernen.
Schlussbemerkung
Rekonstruiert man den Begriff der Ästhetischen Bildung über die zwei Jahrtausende seiner abendländischen Geschichte, so fällt nicht nur auf, wie kontinuierlich diese Bildungsform immer wieder Gegenstand der Diskurse von PhilosophInnen, TheologInnen, KünstlerInnen und PädagogInnen sowie – in den letzten zweihundert Jahren – VertreterInnen unterschiedlichster Disziplinen war; es fällt zudem auf, wie durchgängig man doch der Ansicht war, dass der Umgang mit Kunst und Schönheit Menschen in einer, mit kaum einer anderen Lebenspraxis zu vergleichenden Intensität zu bilden imstande ist; dies haben ErzieherInnen seit Platons Zeiten immer wieder gefürchtet, aber auch in ihrem Sinne instrumentell zu nutzen gewusst. Kunstwerke und kunstspezifische Handlungsformen sind immer auch Ausdruck und Reflexion eines, je nach historisch-kultureller Situation, spezifisch gestalteten menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses, das in seiner Gestaltung, Wahrnehmung und Erfahrung für die Pädagogik immer – und auch und gerade in ihren kunstkritischen und -negierenden Tendenzen – hoch bedeutsam war.
Dabei erscheint es konsequent, dass es einen großen Umbruch in der Debatte gab, der mit dem in der Frühen Neuzeit beginnenden Übergang von einem metaphysischen zu einem nachmetaphysischen Denken verbunden ist und der mit dem Wechsel von einem objektiven zu einem subjektiven Modell der Ästhetischen Bildung einhergeht (siehe: Vanessa Reinwand-Weiss „Künstlerische Bildung – Ästhetische Bildung – Kulturelle Bildung"). Auch spielt in der Antike und im Mittelalter die Werkästhetik eine größere Rolle, als die Produktions- und Rezeptionsästhetik, die wiederum erst mit der Frühen Neuzeit an Gewicht gewinnen. Im Zuge der neuzeitlichen Entwicklungen der Rezeptions- und Produktionsorientierung sowie der Subjektivierung und Pluralisierung im Bereich der Kunst und Ästhetik erscheint es nunmehr fast aussichtslos, noch allgemeingültige objektive Standards dieser Bildungsform etablieren zu können.
Doch nach wie vor werden mit der Ästhetischen Bildung eine ganze Reihe von Hoffnungen und Versprechen verbunden, die genau vor 250 Jahren – am Beginn der Moderne und der wissenschaftlichen Entdeckung der genuinen Leistungen der Kunst und der Ästhetik in der Aufklärung – von Alexander Gottlieb Baumgarten, gewissermaßen schon erahnt und folgendermaßen zusammengefasst wurden:
„Wenn man bei den Alten von der Verbesserung des Verstandes redete, so schlug man die Logik als das allgemeine Hilfsmittel vor, das den ganzen Verstand verbessern sollte. Wir wissen jetzt, dass die sinnliche Erkenntnis der Grund der deutlichen ist; soll also der Verstand gebessert werden, so muss die Ästhetik der Logik zur Hilfe kommen.“ (Baumgarten 1983:80)