Von Games bis Social Media: Wie die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen vom Problem zur Chance werden kann

Im Gespräch mit Karolina Kaczmarczyk und Daniel Heinz, Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW (fjmk), Köln

Artikel-Metadaten

von Karolina Kaczmarczyk, Daniel Heinz

Erscheinungsjahr: 2024

Abstract

Dass Kinder und Jugendliche Computerspiele und Social Media nutzen, wird meistens als Problem diskutiert. Partizipative und kreative Jugendarbeit beweist jedoch, wie viel Potenzial für Selbstermächtigung und Teilhabe in einem reflektierten Umgang mit Medien steckt. Für die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW und ihre Mitarbeiter*innen ist von Bedeutung, dass digitale Räume genutzt werden können, um einen Safe Space zu kreieren, in den man sich zurückziehen kann.

Dieser Beitrag ist Teil des gemeinsam mit der BKJ herausgegebenen Dossiers „Digitalisierung in der kulturellen Bildungspraxis“, welches Einblicke in verschiedenste Praxisfelder eröffnet, die konkrete Arbeit von Einrichtungen bzw. Trägerstrukturen Kultureller Bildung vorstellt und Feld-Perspektiven des konzeptionellen, methodischen, strukturellen und forschenden Diskurses über Digitalität/Digitalisierung in der Kulturellen Bildung aufzeigt.

Was bedeutet Digital Wellbeing und seit wann setzt die Fachstelle für Jugendmedienkultur NRW einen Schwerpunkt auf das Thema?

Karolina Kaczmarczyk: Digital Wellbeing bedeutet im engeren Sinne, Initiativen zu aktivieren, die die eigene Mediennutzung regulieren, z. B. mit vorinstallierten Funktionen wie Schlaf- oder Konzentrationsmodus. Bei uns in der Fachstelle geht es ganz viel auch um Awareness. Also was bedeutet digitale Teilhabe oder Digital Wellbeing? Wie kann ich Teilhabe fördern, wo auch Teilhabe weggenommen wird, weil beispielsweise die technischen Geräte fehlen. Und dass man all das auch als Grundlage nehmen kann, um praktische Projekte mit Kindern und Jugendlichen zu machen, um diese Themen präventiv aufzugreifen und sie kreativ zu verarbeiten.

Daniel Heinz: Als ich 2007 zum Verein gekommen bin, waren exzessive Mediennutzung und „World of Warcraft“ das Thema. Und da haben wir verschiedene Konzepte entwickelt. Wir sind der Meinung, dass es darauf ankommt, die Medienzeit nicht immer nur zu verknappen oder ganz zu verbieten, sondern manchmal auch bewusst zu erlauben und Räume zu schaffen, in denen Jugendliche mit Medien Erfahrungen sammeln und darüber reflektieren können.

Welche Zusammenhänge gibt es zwischen dem Thema Digital Wellbeing und digitaler Teilhabe?

Karolina Kaczmarczyk: Unser Leben ist voll von digitalen Anwendungen: E-Mails, Online-Formulare, Dating, Streaming. Dabei ist es wichtig, dass alle Menschen an der digitalen Gesellschaft teilhaben können. Wir als Medienpädagog*innen setzen uns natürlich für Medienkompetenz und den Abbau digitaler Ungleichheit ein. Oft ist es so, dass viele Menschen bestimmte Dinge nicht nutzen können, weil z. B. Webseiten nicht barrierefrei sind oder bei Filmen oder Social-Media-Beiträgen keine Triggerwarnungen gesetzt werden. Dadurch werden Menschen ausgeschlossen. Unser Ziel ist es, Awareness dafür zu schaffen und Menschen technisch und inhaltlich weiterzubilden. Dass alle Menschen Teil unserer Gesellschaft sein und sich ausdrücken können, künstlerisch, politisch usw.

Daniel Heinz: Wir haben z. B. das Projekt „Gaming ohne Grenzen“, wo wir gemeinsam in inklusiven Gruppen Games auf Barrierefreiheit testen und beurteilen. Da melden uns die Jugendlichen immer wieder zurück, wie wertvoll es ist, gemeinsam zu spielen. Und wie ärgerlich es ist, wenn man auf Barrieren stößt, die die digitale Teilhabe verhindern. Wir versuchen auch sozioökonomisch benachteiligte Jugendliche mit reinzuholen, Räume zu schaffen, in denen sie teilhaben können, wo sie Geräte finden, die sie zu Hause nicht haben. Auch das gehört mit zur digitalen Teilhabe und fördert „Digital Wellbeing“: im pädagogischen Rahmen Kompetenzen zu erlernen, um selbstbestimmt und verantwortungsbewusst mit Medien umgehen zu können, sodass sie einem gut tun und möglichst wenig schädigen.

Welche Erkenntnisse aus der Praxis mit Kindern und Jugendlichen haben Sie erfahren?

Daniel Heinz: Für mich ist es ein großes Learning, das anzuzapfen, was Kinder und Jugendliche schon wissen. Ihnen fällt es manchmal schwer, das zu übersetzen, aber sie kennen die Themen von TikTok, Instagram, aus Games usw. Wenn sie es anderen Kindern und Jugendlichen in einer Peer-to-Peer Rolle weitergeben können, bringt das viel mehr, als wenn wir Erwachsenen das tun und ihnen erklären „Du darfst nicht so lange WhatsApp nutzen“. Daher mein Tipp: Nutzt die Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen! Die wissen ganz viel, die können ganz viel, sie müssen einfach nur die Expert*innen-Kappe aufbekommen und ihr Wissen weitertragen.

Karolina Kaczmarczyk: Also für mich ist es besonders, dass digitale Räume genutzt werden können, um einen Safe Space zu kreieren, in den man sich zurückziehen kann. Es braucht Verständnis dafür von Erwachsenen, warum Kinder und Jugendliche überhaupt Medien nutzen, z. B., um sich durch Interaktion mit anderen Menschen verstanden zu fühlen oder einfach mal, um abzuschalten. Ich glaube es ist wichtig, dass Erwachsene oder Pädagog*innen über die eigene Haltung zu diesem Thema nachdenken und auch selbst mit Kindern und Jugendlichen kreativ werden, um genau solche Räume zu schaffen.

Welche Strategien, Methoden oder Tools empfehlen Sie, um eine gute Balance im Umgang mit alltäglicher Mediennutzung zu finden?

Karolina Kaczmarczyk: Ich finde Achtsamkeits-Tools wie Meditations-Apps oder YouTube Videos mit autogenem Training sehr wertvoll. Was ich auch sehr viel nutze, ist die Handyfunktion von Konzentrations- und Schlafmodus. Dann bekomme ich keine Push-Nachrichten mehr und so auch mehr Motivation, etwas zu lesen oder einfach früher schlafen zu gehen. Ein weiterer Tipp wäre aber, sich bewusst zu machen, dass ab und zu online zu sein, nicht immer bedeutet, dass man gleich abhängig ist. Es bedeutet auch, dass man mit Menschen interagiert, die einem viel bedeuten, oder sich Inspiration von Menschen holt, die man bewundert, z. B. Influencer*innen, Stars, Peers. Die Mischung macht's.

Daniel Heinz: Ich finde es unheimlich wichtig, Geräte zu detoxen, also regelmäßig Apps, Push-Nachrichten und schädliche Funktionen für das eigene Wohlergehen abzuschalten und zu deinstallieren. Sich vielleicht einmal im Quartal zu fragen: „Brauche ich alles, was auf dem Smartphone drauf ist?“, „Tun mir die Apps gut oder stressen sie mich eher?“. Auch in der Familie ist es wichtig, dass es bestimmte Zeiten gibt, in denen man die Medien beiseitelegt und sich gegenseitig Zeit und Aufmerksamkeit schenkt. Das hat einen enormen Einfluss auf das eigene Weltbild und das Wellbeing der Umwelt.

Was braucht es, um Kinder und Jugendliche bei einem gesunden Umgang mit Medien zu unterstützen?

Karolina Kaczmarczyk: Ich würde sagen, es sind vor allem zwei Dinge: Verständnis und ein offenes Ohr. Also Verständnis dafür, warum sie Medien nutzen. Vielleicht benutzen sie tolle Tools oder spielen ganz besondere Spiele, die einen auch selber dazu inspirieren, sich auszuprobieren. Das andere wäre das offene Ohr: dass man sich das Ganze neutral anhört, nicht stigmatisiert und versucht, gemeinsam eine Strategie zu finden, um einen gesunden Umgang zu entwickeln.

Daniel Heinz: Wenn ich mir ein Utopia bauen könnte, ja, dann hätten wir einen international greifenden Jugendschutz, der Anbieter von digitalen Medien wirklich in die Pflicht nimmt und Ausweichlücken unterbindet. Es gibt so viele schreckliche Apps mit Bindungsfaktoren, die auf wirklich grausame Art und Weise versuchen, zu manipulieren. Da braucht es viel mehr Regulierung. Spiele oder Apps, die für Kinder gemacht sind, müssen so funktionieren, dass sie Kinder möglichst wenig ausnehmen, hinsichtlich der Nutzungszeit und Kosten.