Wie Förderprogramme Wissenstransfer unterstützen können
Ein Interview von Anne Hartmann und Kerstin Hübner mit der Leiterin und der Referentin des ZfKT
Abstract
Um spezifisches Wissen formal transferieren zu können, sind aus Sicht der Arbeit des Zentrums für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg (ZfKT) vier Schritte interessant, die davor erfolgen müssen: 1. Wissen muss generiert werden. 2. Wissen muss als Wissen erkannt werden, wofür oft zeitgemäße Kriterien und Bewertungsmaßstäbe fehlen. 3. Es muss personenunabhängig in einer Einrichtung festgehalten werden. 4. Es muss bekannt und sichtbar gemacht werden. Letzteres scheitert an vielen Grenzen: an Hierarchien und Vorurteilen, an Spartengrenzen, an Grenzen zwischen sogenannter „Hoch“- und Popkultur. Vor allem auch daran, dass Plattformen und Formate fehlen, die diese Grenzen auflösen, Wissen sichtbar machen und zum Transfer bereitstellen. Das ZfKT unterstützt mit seinen Förderprogrammen Prozesse, um Wissen sparten- und ressortübergreifend in vielfältigen Teams zu generieren. Es erarbeitet sich mit seinen Programmen einen Überblick über das Wissen der Kulturinstitutionen und Kulturakteur*innen in Baden-Württemberg und leitet daraus a) mögliche Transferformate ab und identifiziert b) Wissenslücken. Auf diese hin entwickelt es seine (Förder-)Programme laufend weiter.
Für das kubi-online Dossier über Wissenstransfer, welches die Diskurse der 14. Tagung des Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung (2023) fortführen und vertiefen soll, interviewen Anne Hartmann und Kerstin Hübner die Autorinnen dieses Beitrags. Um die Positionierungen ihrer Gesprächspartnerinnen einordnen zu können, wurden Informationen zu Birte Werner und Josefine Jochum sowie Beschreibungen des Zentrums für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg dem Interview vorangestellt.
Birte Werner leitet seit bald drei Jahren das Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg und schöpft aus ganz unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissenshintergründen: Als Person, die ihre Ausbildung im Einzelhandel gemacht hat, ist sie es gewohnt, Nutzer*innen-Perspektiven einzunehmen und Dinge so zu formulieren, dass sie verstanden werden. Als promovierte Literaturwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin ist sie auch in der Wissenschaft beheimatet. Als Dramaturgin kennt sie die Arbeitspraxis von Kultureinrichtungen. Als ehemalige Programmleiterin Darstellende Künste an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel hat sie sich viel mit Erwachsenenbildung, Fort- und Weiterbildung und dem Transfer zwischen Praxis und Praxis sowie zwischen Praxis und Theorie beschäftigt. Sie verweist zusätzlich auf ihren sehr privilegierten Zugang von Kindesbeinen an zu Bildung und Künsten.
Josefine Jochum arbeitet als Referentin mit dem Schwerpunkt Förderung im Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg. Studiert hat sie Theaterwissenschaften, Ethnologie und Romanistik und anschließend viel in der freien Theaterszene und auch im Bereich kultureller Bildungsprojekte gearbeitet. Sie kennt Häuser und ihre Strukturen, aber auch das konkrete künstlerische Arbeiten. Vier Jahre lang hat sie beim Bundesverband Netzwerk MigrantInnenorganisationen gearbeitet und konnte, z. B. im Programm KIWit, dialogorientiere Prozesse begleiten, um marginalisierte Perspektiven im Kulturbereich auf kommunaler Ebene zu stärken. Sie hat sich vertieft mit diskriminierungskritischen und diversitätssensiblen Arbeiten beschäftigt. Vor diesem Hintergrund versucht sie, (Kultur-)Förderung machtkritisch weiterzuentwickeln und die Förderprogramme des Zentrums für Kulturelle Teilhabe zugänglich für unterschiedliche Akteur*innen mit unterschiedlichen Ausgangssituationen und Bedürfnissen zu gestalten.
Das Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg (ZfKT) ist eine Einrichtung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst (MWK). 2021 wurde es auf Beschluss des Landtags in Baden-Württemberg gegründet. Es dient dem kollegialen Austausch, der Information, dem Wissenstransfer, der Beratung und Qualitätsentwicklung. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf praxis- und anwendungsorientierten Programmen. Dazu bündelt das ZfKT Wissen, teilt Expertise und Know-how, legt Förderprogramme auf, weist auf ergänzende Förderprogramme und weitere Angebote aus dem Themenfeld hin.
kubi-online: Was sind die Aufgaben des Zentrums für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg und welche Bedeutung kommt bei diesen Aufgaben dem Wissenstransfer zu?
Birte Werner: Wir sind, verallgemeinernd gesagt, eine Servicestelle in Baden-Württemberg, die auf Bedarfe der Kulturakteur*innen hin entstanden ist. Wir sind aus verschiedenen Beratungsrunden und schließlich einem großen, teilhabeorientierten Prozess des Ministeriums mit Kultur-Akteur*innen hier im Land hervorgegangen. Unsere zentrale Aufgabe ist zu beraten, zu fördern, zu vernetzen, zu qualifizieren und all das mit dem Ziel, Kultureinrichtungen und Kulturakteur*innen zukunftsfähig zu machen - mit Blick auf ihr Publikum und unsere sich immer weiter diversifizierende Gesellschaft. Das heißt, es geht um Transformation und Organisationsentwicklungsprozesse mit dem Ziel der Teilhabegerechtigkeit.
Unser Programm orientiert sich eng an den Bedarfen der Kultureinrichtungen - und der Bedarf beispielsweise nach Fort- und Weiterbildung ist hoch. Ebenso der Bedarf nach Wissenstransfer. Vielleicht weniger zwischen Theorie und Praxis, als vielmehr zwischen den Einrichtungen bzw. zwischen den unterschiedlichen Sparten. Es ist interessant zu sehen, wie sehr in den Sparten in Unkenntnis voneinander gearbeitet wird, sodass Dinge doppelt erfunden werden, wo man eigentlich voneinander lernen könnte. Auch die Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen der sogenannten „Hoch“- und Popkultur ist ja kaum gegeben. Eine große Staatsoper ist nicht automatisch bereit, von einem soziokulturellen Zentrum zu lernen bzw. kommt nicht auf die Idee, dorthin zu schauen. Das sind Prozesse, die wir als Zentrum anregen und zu befeuern versuchen. In einem ersten Schritt kann Transfer hier in Form von Sichtbarmachen und Sich-Kennenlernen eine wesentliche Rolle spielen.
kubi-online: In Bezug auf eure Aufgaben habt ihr gesagt: Beraten, Fördern, Vernetzen und Qualifizieren. Damit verwendet ihr andere Begriffe als Wissen bzw. Wissenstransfer. Aber dies alles geht nicht ohne „Wissen“: Du kannst nicht beraten oder vernetzen, ohne Wissen zu transformieren. Mit welchen Verständnissen operiert ihr?
Birte Werner: Da haben wir bisher eine definitorische Lücke. Uns beschäftigt darum gerade die Frage: Wann empfindet sich eigentlich jemand in dem Feld, für das wir zuständig sind, als „wissend“? Also, wann würde jemand von sich sagen: Ich habe ein Wissen, was wertvoll wäre zu erhalten und zu transferieren? Bisher gibt es dazu unserer Wahrnehmung nach kaum Kriterien. Wir überlegen daher, diejenigen, die wir fördern, jeweils Qualitätskriterien entwickeln zu lassen, an denen sie ihren Wissensfortschritt und ihren Erfolg messen wollen und können. Das hieße auch, dass sie eine darauf aufbauende Bewertungsmatrix erstellen und auf sich anwenden, um ihren Wissenszuwachs reflektieren zu können. Uns interessiert bei vielen unserer Förderprogramme nämlich nicht primär, wie viele Menschen mit einer Maßnahme erreicht worden sind. Weil wir oft Prozess-, nicht Projektförderung ermöglichen, ist das nicht immer das relevante Bewertungskriterium.
Josefine Jochum: Ich glaube, in diese Frage spielt ganz viel mit hinein, wie sich das Zentrum selbst in die Kulturlandschaft einbringen wollte. Der Name, den es bei der Entstehung gab, lautete: Kompetenzzentrum Kulturelle Bildung und Vermittlung. Wir hatten aber nach ein paar Monaten zu sehr das Gefühl, wir werden mit dem Begriff „Kompetenzzentrum“ missverstanden und auch der Auftrag des MWK wird nicht deutlich genug übermittelt. Nicht bei uns als Servicestelle lag die gebündelte Kompetenz, sondern wir wollten die Kompetenzen im Land erreichen, wollten kennenlernen, wo was wie verbreitet ist, und wollten vor allem keine Parallelstrukturen aufbauen. Uns ging es daher vor allem erst einmal darum, Wissen zu generieren. Also wer, wozu, wie und wo mit wem zusammenarbeitet. Und ein zweites Missverständnis war, dass es in unserer Arbeit immer um außerschulische Kulturelle Bildung und Vermittlung geht. Daher kam es zur Umbenennung.
kubi-online: Was heißt das für eure Ansätze in Förderprogrammen?
Josefine Jochum: All das hat wiederum seinen Einfluss dahingehend, dass unser erstes Förderprogramm »Weiterkommen!« eine offene Frage gestellt und kein Thema vorgegeben hat. Wir fördern darin Prozesse, die ergebnisoffen sind oder sein dürfen, die Laborcharakter haben dürfen, wo am Ende auch rauskommen kann: „Oh Gott, das klappt überhaupt nicht, das lassen wir lieber!“ Oder aber: „Wir haben gelernt, dass wir es unter anderen Voraussetzungen machen müssen. Weil wir es erproben konnten, wissen wir jetzt etwas anderes.“ Das ist ein Ansatz, bei dem sich erst einmal auch innerhalb der Förderung Wissen generiert bzw. Wissen von außen reingeholt werden kann. Und dann wird letztlich auch die Frage aufgeworfen, wann jemand eine Person ist, die das Wissen transferieren und weitergeben kann und in welcher Form sich diese Person selbst dazu befähigt, das zu machen. Im Rahmen der Förderung können Honorare für Wissenstransfer und Reflexion oder Coaching gezahlt werden.
Aus Sicht des Förderprogramms ist vielleicht noch interessant, dass es um teilhabeorientierte Kulturarbeit geht. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe und das heißt, es geht meines Erachtens um Ko-Konzeption, Ergebnisoffenheit, Vertrauen und um ein hierarchiefreies Wissen. Jedes Wissen zählt im Sinne einer „Kultur mit allen für alle“. Deshalb berate ich als Referentin in einer Haltung, die nicht sagt „Ich weiß, wie es läuft.“ Sondern ich frage: „Wo wollt ihr hin? Wie könnt ihr da hinkommen? Wie ist der Status Quo?“, so dass die Fragen letztlich eher eine Ermächtigung für die Akteur*innen sein können, mehr Teilhabe von Anfang an zu leben. Ich glaube, es braucht noch viel mehr Wissen von jenen, die nicht im Kulturbereich verankert sind. Dieses Wissen und diese Expertisen müssen von Anfang an eingebunden und am besten nachhaltig verankert werden durch Stellen und weitere Ressourcen. Diese Art der Zusammenarbeit erfordert viel „neues“ Wissen und zugleich Beziehungsarbeit. »Weiterkommen!« kann hier ein erster Schritt sein, kann einen Impuls in Richtung mehr Ko-Konzeption und Kollaborationen geben. Bei »Weiterkommen!« geht es um mehr Teilhabegerechtigkeit, die auch auf eine Wissensgerechtigkeit abzielt.
Weil wir zum Ressort Kunst des MWK gehören, haben wir eine sehr große antragsberechtigte Akteurslandschaft, die ganz unterschiedliche Perspektiven ermöglicht: Post/migrantische Selbstorganisationen, die künstlerisch/kulturell tätig sind, zählen genauso hinein wie Staatstheater. Viele Anträge werden gestellt, die auf eine strukturelle Weiterentwicklung hinarbeiten wollen oder aber auf den Aufbau von Netzwerkarbeit oder die partnerschaftliche und gemeinschaftliche Entwicklung von neuen Formaten für die Vermittlungsarbeit.
kubi-online: Wie funktioniert auf dieser Grundlage Wissenstransfer bei den Antragstellern?
Josefine Jochum: Das Programm ist in seiner Grundstruktur sehr offen und basiert auf einem Vertrauensvorschuss. Daher ist es zunächst eine tolle Quelle für Wissen und Wissensaufbau. Daraus dann Wissenstransfer zu generieren, fällt vielfach schwer. Wissen zu generieren ist der erste Schritt - in welcher Form auch immer -, dann ist der zweite, dass das neu erlernte Wissen „gespeichert“ werden muss. Da ist der Faktor Zeit oft ein Gegenspieler. Und der Kulturbereich hat kaum Übung in diesem Prozess. Dieses alltägliche Doing, dieses Praxisorientierte des Wissenstransfers braucht Zeit. Das ist ein wesentlicher Beratungsfaktor von uns. Wir fordern auf: „Bitte nehmt euch Zeit dafür, damit wir (Anm. JJ. der Kulturbereich) danach dieses Wissen haben und nutzen können.“ Dies gilt für uns selbst übrigens auch.
Birte Werner: Ja, es gibt innerhalb einer Institution meist keine Übung darin, in der laufenden Praxis Wissen festzuhalten und nach außen zu transferieren, zu teilen. Und es ist oft so, dass Erfahrungswissen personengebunden ist. Damit ist es unsichtbar und auch nicht nachhaltig, wenn diese Person irgendwann geht. Durch die Arbeit des ZfKT wird es jetzt möglich, mit unserer Außenperspektive Themen zu clustern. Wir können Expertisen sichtbar machen und beginnen, daraus Erkenntnisse abzuleiten, ob und wie (Erfahrungs-)Wissen transferiert und damit personenunabhängig werden kann. So überlegen wir zum Beispiel, ob wir zukünftig Netzwerktreffen zu bestimmen Themen initiieren, weil wir sehen: Es gibt X Projekte in verschiedenen Sparten, mit denen wir in Kontakt stehen, die mit Kinder- und Jugendbeiräten arbeiten. Sie verfügen über Wissen, das weiterzugeben sinnvoll wäre - zumal Vorbilder gesucht werden, an denen man sich orientieren, von denen man lernen kann. Wir arbeiten außerdem gerade an einer kleinen Handreichungsreihe, „How to…“, die Menschen ermutigen soll, sich ein Thema vorzunehmen und loszugehen. Darin bilden wir auch Expert*innen mit ab, die man ansprechen kann. „HOW TO: Mit einem Kinder- oder Jugendbeirat arbeiten“ ist das erste Heft der Reihe.
Wir arbeiten daran, eine Gleichrangigkeit von Theorie und Praxis herzustellen, aber auch von kulturellem und Alltagswissen. Wir schauen, wie wir Kinder und Jugendliche und ihre Expertise genauso mit in den Diskurs bekommen wie migrantisch gelesene Menschen, Menschen mit Behinderungen, von Klassismus betroffene Menschen usw. Wir merken, es gibt eine große Offenheit und eine große Bereitschaft, sich zu vernetzen, beraten zu lassen, gegebenenfalls auch Macht abzugeben.
Zu diesen Grundlagen für Wissenstransfer gehört auch, dass wir es möglich machen, dass sich Teams auf »Weiterkommen!« bewerben. Eine Einrichtung oder ein Verein aus dem Bereich Kunst, dem unsere Förderung gilt, muss natürlich den Antrag stellen. Aber wir laden dazu ein, sich mit Akteur*innen aus ganz anderen Einrichtungen, die vielleicht dem Bereich Soziales zugeordnet sind, in so einem Projekt zusammen zu tun.
kubi-online: Ihr seid bereits auf Formate eingegangen, aber auch auf das Prozesshafte. Lasst uns die Handlungsorientierung mitdenken. Das Spannende ist, was adäquate Dokumentationsformate oder auch Transferformate sind für das, was Handeln ausmacht. Wie spiegelt sich das?
Josefine Jochum: Ich glaube, der bereits erwähnte Faktor Zeit ist wirklich ein springender Punkt. Da würde ich gern auf den Fonds Soziokultur verweisen, der gerade sein Förderprogramm Profil:Soziokultur (https://profil-soziokultur.de/evaluation-2022/) ausgewertet hat, bei dem es auch um Prozesshaftigkeit ging. Dort wurde das Wort „payed time“ genutzt, also bezahlte Zeit, um sich einzulassen auf die Prozessvorhaben und um die Arbeit kritisch zu reflektieren. Wenn man Öffnung und Transformation als Schlagwörter hat, ist damit eigentlich auch Zeit gemeint, um den Blick zunächst einmal auf sich selbst und auf die Strukturen intern richten zu können, damit es dann nach außen getragen werden kann und deutlich wird, dass kulturelle Teilhabe nicht im stillen Kämmerlein passieren kann. Die Laufzeiten eines Förderprogrammes spielen hier natürlich auch rein. Meist sind sie zu kurz für neu begonnene Beziehungsarbeit und strukturelle Weiterentwicklungen.
Birte Werner: Die Frage nach Formaten für Wissenstransfer zielt auch darauf: Was braucht welcher Wissenstransfer? Was lässt sich über Leitfäden weitergeben, was über Vorträge? Wo braucht es praktische Erfahrungen, die ich kurzfristig in einem Workshop oder längerfristig in einem Job-Shadowing machen kann? Was leisten Gespräche, was Schulung oder Beratung? Jede Form von formal organisiertem Transfer braucht eine klug gestaltete, passende Plattform. Universitäre Tagungen, die aus reinen Vorträgen bestehen, funktionieren - glaube ich - noch nicht mal mehr für die Wissenschaftscommunity. Neben den Formaten sind die Räume wichtig; Atmosphäre auch. Die Voraussetzungen insgesamt so zu gestalten, dass wirklich jede*r Wissen teilen kann, ist eine Herausforderung: Wer spricht? Wer spricht mal wieder am meisten? Wer spricht nicht? - Was meines Erachtens noch fehlt, ist ein zentraler Punkt beim Thema Wissenstransfer: Fehlerkultur und die Bereitschaft, sein Scheitern mit anderen zu teilen. „Fuck up Nights“ sind ein guter Anfang - daneben kenne ich bisher noch wenig anderes.
kubi-online: Ihr habt bereits Machthierarchien angesprochen, also wer Zugang und Ressourcen für Transfer hat und dass ihr mit dem ZfKT die Freiheit habt, die Förderprogramme so zu stricken, dass ihr experimentieren könnt. Das sind auch politische Entscheidungen, was ihr grundsätzlich fördert und welche Prozesse möglich sind. Insofern würde uns auch interessieren, wie euer generiertes gebündeltes Wissen unter Umständen nicht nur innerhalb der Praxis transferiert wird, sondern auch in andere Richtung weitergetragen wird: Sollen Politik und Verwaltung anders denken und handeln?
Josefine Jochum: Evaluation ist sicherlich ein Beispiel dafür. Die haben wir jetzt beauftragt, um »Weiterkommen!« so aufzuarbeiten, dass es möglicherweise Vorbildcharakter haben kann für andere Fördermittel-Geber*innen. Und auch, dass Förderung als Teil des Kulturbereichs verortet wird, der sich wandeln muss. Das war für mich ein großes Learning als Referentin für Förderung: dass innerhalb dieser ganzen Transformation die Kulturförderung bisher ein bisschen exklusiv und „unbeweglich“ an der Seite stand. In meinem Verständnis haben wir mit unserer Arbeit erarbeitet, dass auch sie sich verändern kann, also dass sich Kulturförderung genauso wie der Kulturbereich wandeln muss.
Letztendlich haben wir politische Entscheidungen im Kleinen getroffen, indem wir an Stellschrauben gedreht haben, wie zum Beispiel einen geringen Eigenanteil einzufordern, sehr offene Fragen zu stellen, die von Akteur*innen bedarfsorientiert und vielseitig beantwortet werden können, oder das kurze Formular mit vielen Multiple Choice Fragen. Das hat einen großen Einfluss darauf, wer sich bewirbt. Das ist sogar eine Offenheit, die durchaus auch auf Irritation stößt. Und das hat auch großen Einfluss auf das ZfKT als Fördermittelgeber, welche Angebote und Antworten wir entwickeln.
Birte Werner: Wir haben eine sehr gute Anbindung ans Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst, weil wir dessen nachgeordnete Einrichtung sind. Wir sind mit unseren Ansprechpartner*innen in regelmäßigem Austausch und hoffen, dass wir hier und da role model für das MWK selbst sein können. Wir haben es mit einem offenen, an Wissenstransfer ins eigene Haus sehr interessierten Ministerium zu tun. Dadurch, dass wir organisatorisch nicht vom MWK, sondern vom Landesmuseum in Stuttgart getragen werden, sind wir freier als andere, können Experimente wagen, Dinge neu und anders machen.
Das Zentrum für Kulturelle Teilhabe hat aber eine Crux in seiner Gründung, nämlich, dass es ausschließlich eine Tochter des einen Ministeriums – dem für Wissenschaft, Forschung und Kunst – ist. Es gründet nicht auf einer interministeriellen Zusammenarbeit. Wären wir gemeinsam getragen von den Ministerien für Kunst und Kultus, oder am besten von Kunst, Kultus, Sozialem und Wirtschaft, würde das unsere Arbeit sehr viel einfacher machen. Beispielsweise könnte der Bereich Kunst vom Bereich Wirtschaft sehr viel lernen, was Weiterbildung betrifft. Dort gibt es oft Regularien dafür, um sich regelmäßig weiter zu qualifizieren und das auch in der Förderung abzubilden: Dafür sind Zeit und Geld im System hinterlegt.
kubi-online: Ihr habt schon viel Positives genannt. Uns würde zusätzlich interessieren, wo ihr an Grenzen oder Hürden stoßt. Also welche Schwierigkeiten euch begegnen und wir ihr ihnen begegnet.
Josefine Jochum: Ich glaube, es gibt zwei Ebenen - einmal intern im Zentrum, weil auch hier irgendwann die Ressourcen rein menschlicher Art erschöpft sein können. Und zweitens ist wesentlich, dass natürlich der Platz für Wissenstransfer bisher noch nicht so in die Arbeitsweisen durchgedrungen ist, dass er alltäglich und strukturell verankert worden ist. Das heißt auch, dass wir leider noch nicht so viel Handhabung darin haben, was nach dem Förderzeitraum bei den Akteur*innen passiert und wie viel da wirklich unter veränderten Bedingungen stattfindet. Es ist halt ein »Weiterkommen!« und noch nicht ein „Weitermachen“ unter diesen veränderten Lernerfahrungen. Wir erhalten zwar manchmal Rückmeldung, aber in der Fläche wissen wir noch nicht, was danach passiert. Dafür haben wir leider noch kein passendes Programm. Und es ist auch die Frage, ob wir das haben müssen.
Birte Werner: Wir merken, sofern wir diesen Einblick überhaupt haben, dass der Wissenstransfer innerinstitutionell - Stichwort Selbstverständnis als lernende Organisation - nur dann funktioniert, wenn dieses Thema eine Leitungsaufgabe ist, die die Leitung auch mit entsprechenden Ressourcen hinterlegt. Ein ganz einfaches Beispiel: Ich habe als Museum eine Vermittlungsabteilung und dort fahren Kolleg*innen auf eine große internationale Fachkonferenz zum Thema „Zukunftsweisende Vermittlungsformate“. Und dann kommen sie zurück. Wenn ich dann keine Leitung habe, die sagt, die Vermittlungsabteilung sitzt mit im Führungskreis und erhält eine Stunde Zeit , um zu erzählen, was die Kolleg*innen an neuen Funden mitgebracht haben, und um gemeinsam zu überlegen, was das an neuen Impulsen bringt, wenn ich also diesen Wissenstransfer im Haus nicht organisiere, dann sind wir wieder bei Wissen, das in einer Person schlummert und mit ihr irgendwann die Struktur verlässt. Wir kennen viele Personen in Leitungspositionen, die Wissenstransfer im Haus voranbringen möchten. Aber der Workload im Alltag ist so hoch, dass das offenbar schwer zu managen ist. Wir sehen aber auch, dass viele daran arbeiten.