Empirische kulturelle Bildungsforschung – Methodik, Themen und aktueller Forschungsstand
Hintergrund
Die kritische Haltung der „Frankfurter Schule“ (Ladwig 2006) gegenüber der empirischen Soziologie war mit dafür verantwortlich, dass sich die empirische Kulturforschung und damit auch die empirische kulturelle Bildungsforschung in Deutschland vergleichsweise spät etablierte und immer wieder sehr kritisch reflektiert wurde.
Nach der Medienforschung öffneten sich als einer der ersten Kulturbereiche die Museen für empirische Forschungsmethoden. So kam es in den 1970er Jahren zu einer Öffnung historischer Museen für eher bildungsferne Besuchergruppen mit neuen thematischen Schwerpunkten, wie die Geschichte der Industrie oder der Arbeiterbewegung, für die es neuer Grundlagen und Bildungskonzepte bedurfte.
Einen weiteren Aufschwung bekam die kulturelle Bildungsforschung durch die Etablierung neuer kulturpädagogischer Konzepte mit Gründung der Jugendkunstschulen oder auch Soziokulturellen Zentren in den 1970er Jahren (Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft 1980).
Durch die zunehmende Konkurrenz kommerzieller Freizeit-, Kultur- und Medienanbieter in den letzten 20 Jahren, die zu einer Neuorientierung des Freizeitverhaltens jüngerer Bevölkerungsgruppen führte und mit einer deutlichen Überalterung des klassischen Kulturpublikums einherging, erhielten kulturelle Bildungsfragen neuen Aufwind, insbesondere im Zuge des medial sehr präsenten kulturellen Bildungsprojekts „Rhythm is it“ der Berliner Philharmoniker, der Vorlage des 1. Jugend-KulturBarometers und des Starts von „Kinder zum Olymp“ der Kulturstiftung der Länder – Maßnahmen, die alle zeitgleich 2004 erfolgten.
In den letzten Jahren rückte zunehmend die Qualitätsfrage, unter anderem durch die UNESCO-Studie „Wow-Faktor“ (Bamford 2006), in der festgestellt wurde, dass schlecht durchgeführte kulturelle Bildungsprogramme einen negativen Einfluss auf die künstlerische Kreativität junger Menschen haben können, in den Vordergrund, die den Einsatz der empirischen kulturellen Bildungsforschung im Rahmen von Evaluationen, Qualitäts- und Wirkungsfragen begünstigte.
Ziele und Aufgabenfelder
Vier zentrale Aufgabenfelder können für die empirische kulturelle Bildungsforschung formuliert werden:
>> Statistische Kennziffern bzw. Strukturstatistiken,
>> Grundlagenforschung: Analyse von Zielgruppen, kulturpolitischen Akteuren und Handlungsfeldern,
>> Wirkungsforschung,
>> Evaluationen von Programmen und konkreten Maßnahmen.
Statistische Kennziffern eignen sich sehr gut, um einen Gesamtüberblick über die Struktur einer Maßnahme zu erhalten und im Rahmen einer kontinuierlichen Erfassung, also mittels Zeitvergleichen, Entwicklungen aufzuzeigen. Ein typisches Beispiel ist hier die Musikschulstatistik, die einen Überblick über Finanzierung, erreichte Zielgruppen etc. bietet.
Grundlagenforschung schafft eine Basis für die Weiterentwicklung von geeigneten kulturellen Bildungsmaßnahmen und -konzepten. Kennt man die Sichtweise spezieller Zielgruppen auf bestehende Angebote, kann man diese entsprechend gestalten und verändern. Beispiele wären hier das Jugend-KulturBarometer, eine bundesweit repräsentative Befragung der 14- bis 24-Jährigen, deren Inhalte nachfolgend noch ausführlicher dargestellt werden, oder beispielsweise auch das aktuelle Projekt „Theatrale Bildung als Forschungsprojekt“ mit einem qualitativen Ansatz von Eckart Liebau und Jörg Zirfas, in dem die beim Schultheater ablaufenden Bildungsprozesse exemplarisch anhand von Video-, Ton- und Fotoaufnahmen dokumentiert und analysiert werden.
Wirkungsforschung beschäftigt sich nicht primär mit dem „Output“ von kulturellen Bildungsprozessen, sondern den Transfereffekten (siehe Christian Rittelmeyer „Die Erforschung von Transferwirkungen künstlerischer Tätigkeiten“), die durch Teilnahme an kulturellen Bildungsprozessen gefördert werden, wie Förderung sozialer Kompetenzen, Intelligenzleistung oder Konzentration, so z.B. die BastianStudie (Bastian 2000), die in einer Langzeitstudie die Wirkung zusätzlichen Musikunterrichts auf die Intelligenz- und weiteren Transferleistungen untersuchte.
Evaluationen in der kulturellen Bildungsforschung beziehen sich explizit auf bestehende kulturelle Bildungsmaßnahmen (siehe Tobias Fink „Evaluationen im Feld der Kulturellen Bildung“), deren konkreter Erfolg und deren Gelingensbedingungen, wie z.B. die über mehrere Jahre dialogisch und begleitend angelegte Evaluation zum NRW-Landes programm „Kultur und Schule“ (Keuchel 2009).
Zur Methodik
Wie allgemein in der Soziologie wird bei den Erhebungstechniken in der empirischen kulturellen Bildungsforschung zwischen quantitativen Verfahren, die den wissenschaftlichen Anspruch der Repräsentativität aufweisen und mit standardisierten Daten arbeiten, und qualitativen Verfahren, die theoriebildend arbeiten und ein exploratives Arbeiten ermöglichen, unterschieden. Beide Ansätze können mit unterschiedlichen Methoden der Datenerhebung praktisch umgesetzt werden: im Rahmen von primären Datenerhebungen, wie Beobachtung bzw. Experiment oder Befragung, oder sekundären Datenerhebungen, wie Inhalts- bzw. Sekundäranalyse.
Bei der Auswahl der Datenerhebung gilt es den Erhebungskontext zu berücksichtigen. Bei Analysen von kulturellen Bildungsmaßnahmen mit Vorschul- oder Grundschulkindern empfehlen sich z.B. aufgrund des Alters der Zielgruppe weniger Befragungen und Interviews als vielmehr teilnehmende Beobachtungen, wie bei dem Sprachbildungsprojekt „Zeig mal – lass hören!“ (Reinwand 2010b), das bei Vorschulkindern den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule untersucht. Bei der Evaluation des Landesprogramms „Kultur und Schule“ wurde beispielsweise alternativ ein Eltern-/Kindfragebogen für junge Grundschulkinder entwickelt, in dem die Eltern gebeten wurden, Fragen an die Kinder zu stellen und die Antworten auf dem Fragebogen zu dokumentieren (Keuchel 2010a).
Stand der Forschung
Eine Vielzahl von Studien belegt die hohe Abhängigkeit kultureller Bildungszugänge von Kindern und Jugendlichen vom Bildungsstatus der Eltern. Sehr deutlich wird in vielen Studien auch der wichtige Stellenwert einer frühen Förderung, möglichst schon im Kindergartenalter. Jugendliche Zielgruppenanalysen belegen, dass sich junge Menschen andere Rahmenbedingungen und Zugänge für kulturelle Veranstaltungen wünschen. Zudem hat speziell das 2. Jugend-KulturBarometer noch einmal sehr deutlich herausgearbeitet, dass es wichtig ist, kulturelle Bildungsprozesse auch außerhalb von schulischen Kontexten zu initiieren, da junge Menschen, die Kunst und Kultur nur in schulischen Kontexten kennengelernt haben, in späteren Jahren nur sehr selten Interesse für entsprechende Angebote entwickeln.
Unter den grundlegenden Studien, die sich mit Zielgruppen, Lernprozessen und Handlungsfeldern auseinandersetzen, finden sich vorranging qualitative Studien. Noch sehr selten ist der Rückgriff auf quantitative Verfahren in der kulturellen Bildungsforschung, wie Bevölkerungsumfragen. Eine Ausnahme bildet das erwähnte Jugend-KulturBarometer, das sich mit dem aktiven Umgang junger Menschen mit Kunst und Kultur beschäftigt und in einer Retroperspektive auch die kulturellen Biografieverläufe erfasst. Mit der Vorlage eines 2. Jugend-KulturBarometers 2012 konnten erstmals auch der Erfolg von kulturellen Bildungsmaßnahmen der letzten Jahre sichtbar gemacht und Entwicklungen aufgezeigt werden.
Eine weitere bundesweite repräsentative Bevölkerungsumfrage in der kulturellen Bildungsforschung ist das KulturBarometer 50+ (Keuchel/Wiesand 2008). Angesichts des demografischen Wandels und der also zunehmenden „Alterung“ der Gesellschaft rücken kulturelle Bildungsmaßnahmen für die ältere Bevölkerung stärker in den Fokus. Im Rahmen qualitativer Verfahren arbeitet z.B. das Institut für Bildung und Kultur e.V. auch an Grundlagenforschung zur Seniorenkulturarbeit (Groote/Nebauer 2008).
Das Interesse für Studien zur Wirkungsforschung im Hinblick auf Transfereffekte, das vor einigen Jahren noch sehr groß gewesen ist, nicht zuletzt durch die große mediale und politische Resonanz der eben zitierten „Bastian-Studie“, ist zurückgegangen mit dem zu nehmenden Selbstvertrauen des kulturellen Bildungsfelds, kulturelle Bildungseffekte und nicht mehr Transfereffekte als Begründungszusammenhang für die Förderung von Kultureller Bildung heranzuziehen. Eine kritische Distanz förderte hier auch eine vom BMBF geförderte Studie (BMBF 2006a), die 2006 systematisch zahlreiche Studien zur Förderung kognitiver Kompetenzen durch Musik auf ihre Aussagekraft hin untersuchte, unter anderem auch die „Bastian-Studie“ mit dem Ergebnis, dass diese vielfach methodische Mängel und in der Regel keine aussagekräftigen Ergebnisse belegen konnten. Es wurde schon auf die deutliche Zunahme an Evaluationen zu kulturellen Bildungsprogrammen verwiesen. So hat z.B. das BMBF ein großes Forschungsprogramm zu „Jedem Kind ein Instrument“ aufgelegt mit einem Fördervolumen von jährlich einer Million Euro, das nicht nur Evaluation sondern in der Tendenz auch Grundlagenforschung umfasst.
Auch hat die eingangs erwähnte UNESCO-Studie „Wow-Faktor“ neben der Qualitätsfrage auch den internationalen Diskurs in der kulturellen Bildungsforschung belebt. Im Rahmen des eingerichteten UNESCO-Chairs arts education an der Universität Erlangen-Nürnberg (Wagner 2010) wurde ein Netzwerk International Network for Research in Arts Education (INRAE) eingerichtet. Entsprechende Zusammenschlüsse zur Professionalisierung des Austauschs in der kulturellen Bildungsforschung können auch auf nationaler Ebene beobachtet werden, so das Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung.
Im internationalen Diskurs wie auch im nationalen werden verstärkt Forderungen laut nach statistischen vergleichbaren Kennziffern, die helfen, den Output von kulturellen Bildungsprogrammen und nationalen Systemen auf der strukturellen Ebene zu vergleichen. Auch der nationale Bildungsbericht (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012b), der 2012 erstmals als Sonderthema Kulturelle Bildung thematisierte, unterstrich die Notwendigkeit in Zukunft entsprechende Instrumentarien und Indikatoren zu entwickeln. Im Projekt „mapping//kulturelle-bildung“ (Keuchel 2011b), wurde ein erster explorativer Vorstoß in diese Richtung unternommen. Auch das von der Europäischen Kommission geförderte Programm „Arts Education Monitoring System“ versucht länderübergreifend vergleichbare Kennziffern und Kriterien zusammenzutragen.
In jüngster Zeit gewinnt auch die interkulturelle Bildungsforschung an Bedeutung, so wurde jüngst ein InterKulturBarometer (Keuchel 2012a) durchgeführt, in dem der Einfluss von Migration auf kulturelle Partizipation und künstlerisch-kreative Ausdrucksformen untersucht wurde.
Ausblick
Neben der empirisch gestützten Erschließung des kulturellen Bildungsfelds, eine Herausforderung für die nächsten Jahre, und der verstärkten Erforschung von interkulturellen Bildungsprozessen, fehlt es auch an Grundlagenforschung, die sich explizit mit kulturellen Bildungsprozessen und geeigneten Methoden der Vermittlung von künstlerisch-kreativen Fertigkeiten und ihrer Reflexion auseinandersetzen. Vorteilhaft wäre hier ein stärkerer Rückgriff bei der Grundlagenforschung auf mehr multimethodisch, interdisziplinär angelegte Forschungsansätze. Bei der Erforschung einzelner Themenfelder kann in der aktuellen Praxis beobachtet werden, dass ForscherInnen oftmals entweder ausschließlich mit qualitativen oder ausschließlich mit quantitativen Ansätzen arbeiten. Aufgrund des komplexen Themenfelds wäre es jedoch sinnvoll, sich diesem aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern, ein eindimensionaler Blickwinkel ist kaum in der Lage, dem komplexen Themenfeld Kulturelle Bildung gerecht zu werden.