Einführung: Forschung in der Kulturellen Bildung
Es mangelt an Forschung zu Kultureller Bildung. Zu diesem Schluss kommen nicht nur der nationale Bildungsbericht, der sich 2012 mit dem Schwerpunkt „Kulturelle/musisch-ästhetische Bildung im Lebenslauf“ beschäftigte, sondern auch AutorInnen der folgenden Rubrik. Warum ist das so?
Kulturelle Bildung, einerseits pädagogischer Inhalt, Haltung und Methode, andererseits Angebotsstruktur ist ein weites Feld und damit sind zahlreiche unterschiedliche Forschungsdisziplinen, Forschungsansätze und -methoden notwendig, um diesen Komplex in diverse Richtungen hin zu erforschen. Das Wissen und die Erkenntnisse über Kulturelle Bildung verteilen sich demnach auch auf unterschiedlichste Disziplinen. Erkenntnisse über Kulturelle Bildung werden in den klassischen geisteswissenschaftlichen Fächern wie Pädagogik, Philosophie, Geschichte oder Soziologie generiert (siehe die Beiträge in der Rubrik Theorie), aber natürlich auch in den einzelnen Kunstsparten mit direktem Praxisbezug (siehe das Kapitel „Handlungsfelder“ in der Rubrik Praxis); und wenn es um Wirkungen Kultureller Bildung geht, reihen sich auch noch die NeurowissenschaftlerInnen, SportwissenschaftlerInnen oder die PsychologInnen in dieses Forschungsfeld ein. Statistische Daten über Kulturelle Bildung und Kulturnutzung werden erhoben und zahlreiche Evaluationen kultureller Praxis finden Eingang in den Wissenskanon um Kulturelle Bildung. So entsteht „Forschung“ zu Kultureller Bildung klassischerweise an Hochschulen, aber auch an Forschungszentren wie dem Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) oder dem Deutschen Institut für internationale Pädagogische Forschung (DIPF) sowie ausgehend von Verbänden, Akademien und Organisationen und nicht zuletzt in Form von Beobachtungen und Erfahrungen reflektierter PraktikerInnen und VermittlerInnen.
Diese reiche Landschaft trägt zum Erkenntnisgewinn unterschiedlichster Art über Historie, Begrifflichkeiten, Prozesse und Wirkungen Kultureller Bildung bei. Leider haben diese potentiellen „Forschungspartner“ jedoch oft wenig Kenntnis voneinander, was dazu führt, dass kaum ein interdisziplinärer Austausch über neue Forschungsergebnisse stattfindet, derselbe Gegenstand ohne Bezug auf frühere Arbeiten mehrfach erforscht wird, keine spezifische wissenschaftliche Nachwuchsförderung für das Feld Kultureller Bildung erfolgt und kaum Metastudien, welche verschiedene Forschungsarbeiten zu einem Gegenstand vergleichend darstellen, existieren.
Um es vorweg zu nehmen: auch die Rubrik „Forschung“ auf Kulturelle Bildung Online kann eine solche Arbeit nicht leisten. Vielmehr sollen anhand verschiedener – sich durchaus im Wandel befindlicher – Kategorien wie „Historische Forschung“, „Prozessforschung“ oder „Kulturnutzerforschung“ Forschungsbereiche und -ansätze vorgestellt, verglichen und ggf. voneinander abgegrenzt und damit exemplarisch Einblicke in unterschiedliche Herangehensweisen an das Forschungsfeld Kulturelle Bildung gegeben werden. Dadurch wird die Fülle an Forschungsfragen und -zugängen deutlich, allerdings auch Desiderata sichtbar. So mangelt es an verlässlichen Daten über Kulturnutzung generell und die Nutzung Kultureller Bildungsangebote, unterschieden z.B. nach Altersgruppen, Kunstsparten, Bundesländern und soziokulturellen Milieus. Das föderale System und die unterschiedliche Kenntnis der einzelnen Kultureinrichtungen über ihre BesucherInnen erleichtern nicht gerade den Zugang oder machen Mut zur Konzeption solcher umfassender Erhebungen. Forschungsstudien über die Qualität und Wirkung spartenspezifischer Angebote sind auch nicht leicht durchführbar, da es bislang keine Einigung über normative Folien gibt und Wirkungen aufgrund der engen situativen und biografischen Verknüpfung von Angebot und Akteur schwer wissenschaftlich transparent zu machen sind. Laborstudien, wie z.B. die Ergebnisse neurowissenschaftlicher Versuchsanordnungen, bleiben in ihrer Aussagekraft begrenzt, wenn sie nicht mit Ergebnissen aus der Praxis kombiniert; fachliche Beobachtungen bleiben subjektiv, so sie nicht mittels Theorien und wissenschaftlichen Methoden reflektiert werden. Evaluationen kranken daran, dass die ForscherInnen häufig durch die Erwartungen und Wünsche der Auftraggeber sowie die Nähe zu den Akteuren zu einem untrennbaren Teil des Praxisfeldes werden und kaum mehr einen unabhängigen, reflektierten Blick auf den Gegenstand gewinnen können. Zudem ist die wissenschaftliche Begleitforschung kultureller Praxisprojekte häufig personell und finanziell schlecht ausgestattet und dient eher der politischen Legitimation als dem Erkenntnisgewinn. Zuletzt ist noch die geringe Rezeption internationaler Forschungsergebnisse in Deutschland zu arts education anzuführen. Dies sind nur einige Hinweise darauf, dass eine breite wissenschaftliche Fundierung des Feldes unbedingt notwendig ist. Die im Folgenden angeführten Kategorien sollen nach und nach mit passenden Artikeln gefüllt werden, sich dabei eventuell selbst verändern oder sich gar überflüssig machen.
Seit einiger Zeit wird das Problem mangelnder Forschung erkannt und Gegenmaßnahmen wurden eingeläutet. 2010 wurde an der Universität Hildesheim das bundesweite Netzwerk Forschung Kulturelle Bildung gegründet, das im Verbund von Universitäten, Hochschulen und Praxiseinrichtungen jährliche Netzwerktagungen an unterschiedlichen Orten durchführt, um den interdisziplinären Dialog zwischen Theorie und Praxis zu befördern. Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMBF) engagiert sich aktuell stärker in der Forschungsförderung um Kulturelle Bildung und acht deutsche Stiftungen, welche den Schwerpunkt Kulturelle Bildung bislang förderten, schlossen sich 2012 zu einem Rat für Kulturelle Bildung zusammen, um ihre Investitionen in Forschung und Praxis Kultureller Bildung aufeinander abzustimmen. Dies alles sind erste Versuche, Strukturen eines gemeinsamen Forschungsfeldes Kulturelle Bildung zu entwickeln und damit nicht nur systematische Grundlagenforschung zu befördern, sondern vor allem auch die Praxis zu verbessern.