Drumming Belonging: Partizipative Musikpraktiken für kulturelle Inklusion und ästhetische Bildung
Abstract
Der Beitrag Drumming Belonging: Partizipative Musikpraktiken für kulturelle Inklusion und ästhetische Bildung untersucht, wie partizipative Trommel-Workshops mit afrikanisch-migrantischen Jugendlichen in Deutschland Räume für kulturelle Teilhabe und ästhetisches Lernen eröffnen können. Im Zentrum eines hier fachlich reflektierten Projektes standen weder die Vermittlung einer bestimmten musikalischen Tradition noch die Identitätszuschreibungen der Teilnehmenden. Es ging vielmehr um das Schaffen eines offenen Raums, in dem Rhythmus als Medium der Begegnung, Interaktion und Gegenwärtigkeit diente. Ausgehend vom Konzept des musicking (Small 1998) zeigt der Beitrag, wie Klang und Stille, Gesten und Zuhören zu Formen der Beziehung wurden und wie Zugehörigkeit über diese vielfältigen Teilhabeformen – vom aktiven Mitspielen bis zur stillen Präsenz – spürbar wurde. Gerade in postmigrantischen Kontexten, in denen Jugendliche widersprüchlichen Erwartungen begegnen, können solche musikalischen Praktiken alternative und inklusive Beteiligungsräume schaffen. Der Artikel versteht sich als Reflexionsimpuls für eine Kulturelle Bildung, die auf Beziehung, Prozessoffenheit und Resonanz ausgerichtet ist und so jungen Menschen mit Marginalisierungserfahrungen ermöglicht, auf ihre eigene Weise und im eigenen Tempo Teil eines kreativen Prozesses zu werden, hin zu einer geteilten, gelebten Zugehörigkeit jenseits normativer Erwartungen.
Partizipative Musikpraktiken als Räume ästhetischer und kultureller Teilhabe
Was geschieht, wenn Menschen zusammenkommen, um zu trommeln und Rhythmen zu teilen, die durch Erinnerungen und Alltagserfahrungen geprägt sind? Diese Frage leitete eine Reihe partizipativer Workshops mit afrikanischen migrantischen Jugendlichen in Deutschland. Ziel war es nicht, eine bestimmte musikalische Tradition zu vermitteln, sondern einen Raum für Ausdruck und Interaktion durch Klang zu eröffnen. In einem Kontext, in dem kulturelle Teilhabe oft durch Identitätskategorien und teilweise institutionelle Erwartungen strukturiert wird, stellte dieses Projekt die Frage, was möglich wird, wenn junge Menschen eingeladen werden, zu ihren eigenen Bedingungen durch Rhythmus und Gestik zu partizipieren.
Dieser Beitrag reflektiert die genannten Workshops und argumentiert, dass partizipative, prozessorientierte Musikpraktiken ästhetische und Kulturelle Bildung unterstützen können, indem sie Raum für unterschiedliche Formen von Präsenz und Beteiligung schaffen. Ausgehend vom Konzept des musicking (Small 1998), also dem relationalen, aktiven Musikmachen, hoben die Sessions hervor, wie Teilnehmende durch Zuhören und intuitive Reaktion über Rhythmus miteinander in Verbindung traten. Rhythmus wurde so zu einem Medium der Interaktion, über das Zugehörigkeit im Moment praktiziert und erfahren wurde.
Partizipatives Musizieren wird seit langem mit der Schaffung sozialer Bindungen und kollektiver Identität in Verbindung gebracht (Turino 2008). In non-formalen Settings kann es Raum bieten, um Identität und kulturellen Ausdruck durch gemeinsame, nonverbale Erfahrungen zu erforschen (Keuchel 2020). Diese Prozesse sind besonders bedeutsam in Kontexten, die durch kulturelle Diskontinuität oder Marginalisierung gekennzeichnet sind und in denen konventionelle Formen der Partizipation möglicherweise eingeschränkt sind. Dieser Ansatz ist besonders relevant in postmigrantischen Kontexten – wie beispielsweise in Deutschland, wo junge Menschen mit Migrationshintergrund oft mit widersprüchlichen Erwartungen hinsichtlich kultureller Integration und Selbstentfaltung konfrontiert sind. Obwohl dieser Rahmen weiterhin relevant ist, haben sich die hier beschriebenen Workshops von der Zugehörigkeit in Bezug auf Identität entfernt. Auch war Identität keine Voraussetzung für die Teilnahme. Stattdessen entstand Zugehörigkeit durch kollektive und gemeinsame Präsenz sowie durch die informellen Grundsätze, sich gegenseitig Raum zu geben.
Wie Stuart Hall (1996) argumentiert, ist Identität kein fester Ursprungspunkt, sondern ein Prozess der Positionierung und des Werdens, der sich immer in Beziehung zu anderen konstituiert. Diese Perspektive deckt sich mit Homi K. Bhabhas Ansicht, dass kulturelle Bedeutungen niemals statisch sind, sondern in Verhandlungen und Begegnungen entstehen, in denen „selbst dieselben Zeichen angeeignet, übersetzt, neu historisiert und neu gelesen werden können“ (Bhabha 1994:37). In den Workshops wurde dieses Verständnis durch ästhetische Praktiken zum Leben erweckt, die sich nicht auf feste Identitäten oder kulturelle Erklärungen stützten, sondern es ermöglichten, Zugehörigkeit nicht trotz Unterschieden, sondern gerade durch sie zu verwirklichen.
Ein solcher Wandel ist nicht nur pädagogisch relevant, sondern steht auch im Einklang mit wichtigen theoretischen Diskursen rund um Postkolonialität und kulturelle Teilhabe. Bildungskontexte werden durch implizite „Zugehörigkeitsordnungen“ geprägt, d.h. normative Annahmen darüber, wer als Teil des sozialen und kulturellen Ganzen anerkannt wird (Mecheril 2018). Postkolonial- und Migrationswissenschaftler:innen haben jedoch argumentiert, dass die Herausforderung der Kulturellen Bildung in pluralistischen Gesellschaften nicht darin besteht, diejenigen, die als anders gekennzeichnet sind, einfach einzubeziehen, sondern die Rahmenbedingungen der Teilhabe selbst zu verändern (vgl. Elias & Mansouri 2023; Walton 2018). Dies kann als Aufbrechen von Mustern des „Othering“ und Schaffen von Räumen interpretiert werden, in denen Unterschiede nicht als Defizit, sondern als normaler Teil des sozialen Lebens behandelt werden. Im Kontext der Kulturellen Bildung erfordert dies eine Teilhabe, die nicht additiv, sondern konstitutiv ist und die gemeinsame Urheberschaft und strukturelle Offenheit für Unterschiede in den Mittelpunkt stellt (Kolland 2014). Hier spiegeln sich diese Positionen in relationaler Präsenz und gegenseitiger Reaktionsfähigkeit wider, um die Teilhabe zu leiten. In diesem Licht können die Workshops als praktische Umsetzung von Zugehörigkeit gesehen werden, die keine Gleichheit erfordert, sondern durch Begegnungen entsteht, in denen Partizipation von Unterschieden abhängt, anstatt diese auszulöschen. Dies steht im Einklang mit aktuellen Argumenten, dass postmigrantische Gesellschaften neue Formen des kulturellen und ästhetischen Engagements pflegen müssen, die über integrative Rahmenbedingungen hinausgehen und stattdessen pluralistische, neu entstehende Formen der Zugehörigkeit anerkennen (Foroutan 2015, Kolland 2014).
Durch die Fokussierung darauf, was in und durch die Sessions – insbesondere auf sozialer und emotionaler Ebene – geschah, soll dieser Artikel einen Beitrag zu breiteren Diskussionen darüber leisten, wie Kulturelle Bildung unterschiedliche Formen von Teilhabe ermöglichen kann. Es wird kein Modell zur Nachahmung präsentiert, sondern geteilt, was in einem Raum möglich wurde, der den Prozess und die Reaktionsfähigkeit über das Ergebnis stellte. Damit wird gezeigt, wie kulturelles und ästhetisches Lernen auf Aufmerksamkeit, Variabilität und oft übersehene Dynamiken der Gruppeninteraktion gründen kann. Die hier beschriebenen Workshops basierten auf dem Ethos, gemeinsam einen Raum zu gestalten, in dem sich die Teilnehmenden in Beziehung zueinander und zu ihrer Umgebung wahrnehmen können und in dem Zugehörigkeit im Moment spürbar wird. Durch kollektives Trommeln brachten sie Rhythmen und Gesten aus unterschiedlichen Kontexten ein, um präsent zu sein und Erfahrungen mit anderen zu teilen. Ausgehend von der Erfahrung, diese Sessions zu moderieren, fragt dieser Beitrag, welche Formen von Zugehörigkeit und Teilhabe möglich werden, wenn Kulturelle Bildung sich auf geteilte Prozesse konzentriert. Dabei wird die Arbeit in breitere Diskurse über inklusive Praktiken in der Kulturellen Bildung eingebettet und die Workshops als Räume verkörperten Lernens und der Interaktion durch Klang und Geste verstanden. Ziel ist es letztlich aufzuzeigen, dass Kulturelle Bildung – insbesondere in der Arbeit mit strukturell marginalisierten Jugendlichen – von Praktiken profitieren kann, die sinnlich-körperliche Zugänge eröffnen und junge Menschen einladen, selbst gestaltend tätig zu werden.
Ein partizipatives Trommelprojekt: Setting, Menschen, Prozess
Das partizipative Trommelprojekt fand in einem Jugendzentrum in Zusammenarbeit mit einer Organisation afrikanischer Migrant:innen statt. Es war insofern besonders, als dass afrikanische Trommelworkshops in Deutschland nur selten Jugendliche afrikanischer Herkunft anziehen. Ziel war es daher, einen niedrigschwelligen und kulturell offenen Raum zu schaffen, in dem afrikanisch-migrantische Jugendliche durch gemeinsames Musizieren ihre soziale Realität im diasporischen Kontext bearbeiten konnten. Dabei wurde das Trommeln nicht auf traditionelle Trommeln beschränkt, sondern schloss auch Body Percussion, Klatschen, das Schlagen auf Alltagsgegenstände und andere rhythmische Praktiken mit ein. Das Setting zielte darauf, einen geteilten Raum zu schaffen, in dem Rhythmus ohne Druck oder Hierarchie erforscht werden konnte.
Elf Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren nahmen teil. Obwohl alle Teilnehmenden einen afrikanischen Hintergrund angaben, waren sie eine Mischung aus verschiedenen anglophonen und frankophonen Ländern Afrikas. Sie wurden über die Migrant:innen-Organisation und persönliche Kontakte gefunden und zu vier Sessions von je einer Stunde eingeladen, die über zwei Wochen hinweg stattfanden. Die Gruppe war bewusst auf Jugendliche begrenzt, um altersgemäße Dynamiken zu ermöglichen. Einige Teilnehmende waren erst kürzlich (in den letzten fünf Jahren) nach Deutschland gekommen, andere lebten schon länger dort. Zwei von ihnen wurden in Deutschland geboren. Musikalische Erfahrung war keine Voraussetzung, wenngleich einige angaben, zuhause oder in der Kirche Musik zu machen.
Die Sitzungen waren halbstrukturiert, um ein Gleichgewicht zwischen angeleiteter Moderation und Raum für Improvisation und Reaktion auf die Energie der Gruppe zu erreichen. Je nach Aktivität stand, saß oder bewegte sich die Gruppe im Kreis, um Sichtbarkeit und Gleichwertigkeit zu betonen. Jede Session begann mit einem Warm-up bestehend aus einfacher Body Percussion oder Bewegungen, manchmal Klatschen oder dem Spiegeln von Gesten. Danach führte die Leitung einen Rhythmus ein. Die Teilnehmenden konnten sich anschließen, wann immer sie wollten und mit jedem „Instrument“, egal ob Hände, Flaschen, Tische, Beatboxing usw. Sie wurden auch ermutigt, selbst Rhythmen zu initiieren, denen die anderen folgten. Zudem brachten sie eigene musikalische Referenzen ein, z.B. Beats von Handyaufnahmen. Diese persönlichen Beiträge bestimmten die Richtung der Sessions mehr als jede Planung. Entscheidungen über den Verlauf wurden gemeinsam getroffen, Partizipation bedeutete hier auch Zuhören und Mitgestalten. Dieser offene Ansatz ermöglichte, dass sich jede Session eigenständig entfalten konnte.
Um bewusster über Teilhabe und Zugehörigkeit zu reflektieren, experimentierte die Gruppe auch mit strukturierter Stille. In einigen Runden trat eine Person aus dem Rhythmus heraus, während die anderen weiterspielten. Teilhabe war somit nicht nur Anwesenheit oder Aktivität, sondern die Art der Beziehung zur Gruppe. Ob jemand trommelte, auf eine Flasche oder den eigenen Körper klopfte, klatschte oder einfach zuhörte, jede Rolle wurde als bedeutungsvoll anerkannt. Weil verschiedene Formen der Beteiligung möglich waren, entstand ein Raum, in dem Partizipation zugleich selbstbestimmt und sozial eingebettet war. Nach jeder Session wurden die Jugendlichen eingeladen, ihre Erfahrungen zu teilen: Wie fühlte es sich an, sich einzubringen oder zurückzunehmen? Diese Gespräche eröffneten den Raum, um zu erkunden, was der gemeinsame Moment des musicking für sie bedeutete, was sie damit assoziierten, was er emotional auslöste und wie er mit ihrem Empfinden von Zugehörigkeit zusammenhing.
Lernen durch Rhythmus und Gruppenprozess
Das Lernen in diesen Sessions fokussierte sich eher auf soziale und emotionale Ebenen als darauf, „wie man trommelt“ oder konkrete musikalische Techniken. Im Zentrum standen Aufmerksamkeit und relationale Wahrnehmung – das Reagieren auf den Gruppenfluss wurde zum wesentlichen Bestandteil. Ein von einer Person eingeführter Rhythmus wurde von anderen aufgenommen oder verändert weitergeführt. Manchmal entwickelten zwei oder mehr Teilnehmende ähnliche Rhythmen, die sich aneinander anpassten.
Ein wichtiger Teil des Lernprozesses bestand darin, das Bedürfnis nach Perfektion loszulassen. Die Rhythmen drifteten häufig ab. Doch anstatt sie zu korrigieren, wurden diese Veränderungen Teil des Prozesses. Die Teilnehmenden passten sich gemeinsam an oder änderten die Richtung. Dadurch entstand eine Atmosphäre mit wenig Druck, in der Fehler nicht nur akzeptiert, sondern in die Gruppendynamik integriert wurden. Es schuf auch ein gemeinsames Verständnis dafür, dass jeder Beitrag das Potenzial hat, ein neuer Ausgangspunkt zu werden. In diesem Raum lernen die Teilnehmenden auch, wann sie sich zurückhalten, zuhören und jemand anderem die Führung überlassen sollten. Dies bedeutete, dass die Führung aus der Achtsamkeit heraus auf natürliche Weise rotierte. Es lehrte auch soziales Reaktionsvermögen, da der Einzelne übte, sich auf andere einzustellen und Raum zu geben, was wesentlich ist, um in Beziehung zu sein und mit Unterschieden und Mehrdeutigkeit zu arbeiten. Ein Teilnehmer, der nur selten einen Rhythmus begann, tat dies in der dritten Sitzung, nachdem er in früheren Runden einfach nur zugeschaut und auf den Tisch geklopft hatte. Ein anderer Teilnehmer hatte anfangs Schwierigkeiten, einen gleichmäßigen Takt auf einer Trommel zu halten, fand dann aber einen Weg durch Körperbewegung, indem er sich im Takt mit der Gruppe wiegte und mitklatschte. Diese fließende Struktur ermöglichte es allen Teilnehmenden gleichermaßen, sich auf unterschiedliche Weise einzubringen. Darüber hinaus spiegelten diese Einstiegshandlungen emotionale Sensibilität und ein wachsendes Gefühl von Vertrauen wider.
Stille spielte ebenfalls eine bedeutende Rolle: Wenn zum Beispiel einige Teilnehmende beobachteten anstatt zu trommeln, wurden diese Pausen als Teil des Gruppenrhythmus wahrgenommen. Auch unplanmäßige kollektive Momente der Stille führten dazu, dass die Rückkehr zum Klang bewusster erlebt wurde. Diese Momente deuten darauf hin, dass Schweigen nicht das Gegenteil von Partizipation ist, sondern eine andere Form davon. Darüber hinaus wird deutlich, dass die Workshops Gelegenheiten zur Selbstreflexion sowie zur Empathie und Sensibilität gegenüber anderen boten. Die Teilnehmenden lernten, sich selbst und einander im Rhythmus wahrzunehmen.
Ein Moment der Spannung verdeutlichte, wie das Lernen in der Gruppendynamik stattfand: Ein Teilnehmer bot einen Rhythmus an, der dem Rest der Gruppe nicht zu „passen“ schien, wodurch sich die Energie der Gruppe veränderte. Obwohl niemand negativ darauf reagierte, zog sich der Spieler zurück und wurde ruhiger. Dieser Moment der Spannung trug dazu bei, die folgenden Sitzungen zu gestalten. Wir einigten uns darauf, diejenigen, die noch keine musikalische Erfahrung hatten, einzuladen, mit einigen Runden zu beginnen, und erinnerten die Gruppe daran, dass es bei den Aktivitäten mehr ums Erkunden und Zusammenbleiben als um Perfektion ging. Diese Situation ermöglichte den Aufbau von gegenseitigem Respekt und ermutigte zur Risikobereitschaft, indem sie den Workshop als einen Raum zum Erforschen und nicht zum Performen gestaltete.
Lachen und ernsthafte Reflexion wechselten während der Sessions ab. Beispielsweise verglich ein Teilnehmer die Interaktionen im Raum mit Alltagserfahrungen, wie z.B. sich ausgegrenzt zu fühlen und Teil einer Gruppe zu werden. Solche Momente machten die emotionale Dimension der Sessions sichtbar. Die Workshops wurden so auch zu einem geteilten Erkenntnisprozess über das eigene Verhältnis zu sich selbst und zu anderen.
Zugehörigkeit in der Praxis
Es ist wichtig erneut festzuhalten, dass Konzeption und Verständnis von Zugehörigkeit in diesen Sessions nicht an ethnische oder kulturelle Identifikation, geteilte Herkunft, verbale Identifizierung oder den Ausdruck persönlicher Narrative geknüpft waren. Vielmehr entstand sie durch subtile Formen des Miteinanders, durch Rhythmen und die Art und Weise, wie die Teilnehmenden einander Raum gaben. In diesem Sinne verkörperte sich Zugehörigkeit durch die Beziehungen.
Die Sessions ermöglichten unterschiedliche Arten der Beteiligung: Klang, Bewegung, Stille, Wiederholung, Veränderung. Dies erlaubte allen Teilnehmenden gleichermaßen, eine zentrale Rolle in der Gruppe einzunehmen, und gab Raum, dass aus der gemeinsamen Praxis Bedeutung entstehen konnte.
Manche machten von Beginn an aktiv mit, andere lauschten zunächst am Rand. Diese „ruhigen“ Präsenzen waren integraler Bestandteil. Ein Teilnehmer kam zum Beispiel ständig zu spät und beteiligte sich nur selten vollständig. Er saß da, schaute zu, schlug manchmal mit den Fingern auf eine Trommel und ging dann vor dem Ende. Anfangs war es unklar, ob er etwas von den Sitzungen hatte. Doch in der Pause sagte er zu einem anderen, dass er die Session mochte, denn „keiner schaut dich hier an, als müsstest du etwas machen“. Sein Beitrag mag nicht im herkömmlichen Sinne rhythmisch gewesen sein, aber seine Anwesenheit zeugte von einer Vertrauensbasis, bei der keine Angst besteht, ausgegrenzt zu werden. Auf diese Weise war die Zugehörigkeit nicht von der Sichtbarkeit oder der Leistung abhängig. Einfach da zu sein, ohne bewertet zu werden, war genug.
Ein anderer spielte immer leise, übernahm nie die Führung, dennoch war seine Aufmerksamkeit spürbar. Einmal geschah es, dass ihn die anderen beobachteten und sich ohne direkte Anweisung seinem Rhythmus anpassten. Dies zeigt, dass Zugehörigkeit sowohl durch stille Anwesenheit als auch durch Initiative entstehen kann. In einer anderen Sitzung hörte eine Teilnehmerin für eine Weile auf zu spielen und hörte einfach zu. Als sie wieder einstieg, passten einige ihren Rhythmus an den der Teilnehmerin an. Es wurden keine Worte gewechselt, aber ihre Anwesenheit wurde gewürdigt. Diese aktive Abstimmung war auch ein Schlüsselmoment der Zugehörigkeit.
Auch körperliche Gesten und flüchtige Hinweise hatten eine Bedeutung. Zum Beispiel Augenkontakt zwischen zwei Personen, die feststellen, dass sie einen gemeinsamen Rhythmus haben, oder ein Lächeln, das nach einem Rhythmuswechsel zwischen Teilnehmenden weitergegeben wird. Diese Momente sind Ausdruck gegenseitiger Anerkennung, in denen sowohl die Übereinstimmung als auch der Unterschied sagen: Wir sind hier, und wir machen das gemeinsam. Diese Form der Zugehörigkeit wurde durch die Struktur des Workshops noch verstärkt. Es gab keine Aufforderung, sich vorzustellen oder den eigenen Hintergrund zu erklären, und es gab keinen Druck, eine Identität „vorzuführen“. Die Teilnehmenden konnten einfach ankommen, sich hinsetzen, zuhören und sich in ihrer eigenen Zeit auf den Rhythmus einlassen. In einem Kontext, in dem von jungen Menschen mit Migrationsbiografie oft erwartet wird, dass sie ihre Herkunft darstellen oder erklären, bot dieser Raum eine Möglichkeit, ohne Rechtfertigung in Beziehung zu treten.
Diese Beobachtungen zeigen, dass Zugehörigkeit in ästhetischer Bildung nicht auf Anerkennung von Identität beruhen muss. Sie kann durch beziehungsvolle Gesten, vielfältige Teilhabeformen, gegenseitige Wahrnehmung und eine reaktionsfähige Atmosphäre entstehen.
In den Workshops war nicht entscheidend, wer jemand war, sondern wie jemand präsent war, ob durch Klang oder Stille, Präsenz oder Gesten. Der Raum erlaubte diese Variabilität und lud dadurch die Teilnehmenden dazu ein, selbst Teil eines gemeinsamen Prozesses zu werden.
Reflexionen für ästhetische und Kulturelle Bildung
Die beschriebenen Workshops liefern kein Modell oder Rezept. Aber sie geben eine Perspektive für die Reflexion darüber, was ästhetische und Kulturelle Bildung ermöglichen kann, insbesondere in der Arbeit mit Jugendlichen, die mit multiplen kulturellen Zugehörigkeiten bzw. Marginalisierungserfahrungen umgehen müssen. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass das Eröffnen von Räumen für (künstlerischen) Ausdruck in einer postmigrantischen Gesellschaft nicht um sichtbare Repräsentation oder vorab definierte Identitätskategorien organisiert sein muss. Stattdessen kann eine sinnvolle Beteiligung durch Mitgestaltung, Reaktionsfähigkeit und die alltäglichen Gesten des gemeinsamen Engagements entstehen.
In den Workshops setzten sich die jungen Menschen mit Musik auseinander, indem sie gemeinsam etwas aufbauten, und zwar in Beziehung und in Reaktion darauf. Dies sind ästhetische Prozesse, die Wahrnehmung und Gefühl umfassen und sich oft der Erfassung entziehen, da es sich um Ereignisse handelt, die nicht durch Ergebnisse, sondern durch den Prozess definiert sind. Dies stellt die immer noch vorherrschende Tendenz in Frage, ästhetisches Engagement in Form von Ergebnissen, z.B. einem fertigen Produkt, einer Aufführung oder einer messbaren Fähigkeit, zu definieren. In vielen schulischen und institutionellen Kontexten werden die künstlerischen Fähigkeiten junger Menschen anerkannt, wenn sie die vorherrschende Ästhetik widerspiegeln oder innerhalb formaler Kategorien einen Sinn ergeben. Was sich in den Sitzungen entwickelte, legt eine andere Art des Denkens über Zugehörigkeit in der ästhetischen Bildung nahe, indem die Präsenz in Beziehungen, Offenheit für Prozesse und die Fähigkeit zuzuhören und zu reagieren, als zentrale Komponenten der Beteiligung hervorgehoben werden. Diese Qualitäten sind besonders wichtig in der Arbeit mit jungen Menschen, deren Ausdrucksweisen aufgrund von Migrationshintergrund, Sprachbarrieren, persönlicher Geschichte usw. möglicherweise nicht den normativen Erwartungen entsprechen.
Für die Praxis bedeutet das, Räume zu gestalten, in denen nicht alles artikuliert werden muss. In denen Schweigen genauso viel zählt wie etwas zu sagen oder mitzumachen, wo Beiträge vielfältig sein dürfen und das gemeinsame Erschaffene nicht zu einem Endprodukt führen muss.
Für Kulturelle Bildung könnte daraus abgeleitet werden, wie wichtig es ist, Umgebungen zu schaffen, die strukturiert genug sind, um Sicherheit zu geben, aber auch offen genug, um von denen, die sie betreten, gestaltet zu werden. Anstatt sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, was die Teilnehmenden produzieren, kann der Schwerpunkt darauf gelegt werden, wie sie sich auf die Aktivität, auf ihre Umgebung, auf andere und auf sich selbst beziehen. Durch diese Ausrichtung wird es in ästhetischer und Kultureller Bildung weniger um Leistung als vielmehr um Präsenz gehen.